Den Touristen dient die Donau vielleicht als Fotomotiv, für Brückenbauer ist sie ein zu überwindendes Hindernis, für die Bewohner Regensburgs, Wiens, Budapests oder Belgrads ein vertrautes Element der heimischen Stadtlandschaft, und für den berühmten Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän war sie einstmals nichts anderes als eine regulierte Wasserstraße.

Die Donau wurde und wird also unter vielfältigen Aspekten und Perspektiven genutzt, wahrgenommen und beschrieben. Der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy charakterisierte die Besonderheit des Flusses mit den Stichworten: "Flüssiger Code der kulturellen Vielfarbigkeit. Schlagader des Kontinents. Geschichtsfluss. Zeitfluss. Kulturfluss. Liebesfluss."

"Flüssiger Code"

Diese Sätze bilden das Motto der neuen Donau-Anthologie "Der Fluss", die von Edit Király und Olivia Spiridon herausgegeben wurde. Die ungarische Germanistin Edit Király lebt und arbeitet teils in Budapest, teils in Wien. 2017 veröffentlichte sie im Wiener Böhlau Verlag den Band "Die Donau ist die Form", der "Strom-Diskurse in Texten und Bildern des 19. Jahrhunderts" analysiert. Diese Studie ist sozusagen die kulturwissenschaftliche Parallelaktion zur literarischen Anthologie "Der Fluss".

Deren zweite Herausgeberin, Olivia Spiridon, stammt aus dem rumänischen Sibiu (Hermannstadt). Sie lehrt Literatur- und Sprachwissenschaft an der Universität Tübingen und erforscht die deutschsprachige Literatur in Südosteuropa, den Zusammenhang von Literatur und Migration und die diversen Donau-Diskurse. Die beiden Herausgeberinnen sind also keine Expertinnen für Wasserbau oder Bodenkunde, sondern Philologinnen und damit Kennerinnen sprachlicher "Quellen".

Dass diese Textquellen im Zusammenhang mit der Donau überreich sprudeln, zeigt die Anthologie in schöner Ausführlichkeit. Auf 490 Seiten werden Romanauszüge, Gedichte, Reiseberichte, wissenschaftliche Gutachten, Tagebuchaufzeichnungen vorgestellt und kommentiert, die sich auf unterschiedlichen Wegen dem Phänomen "Donau" annähern.

Die meisten Texte entstammen den sechs Sprachen, die an den Ufern der Donau gesprochen und geschrieben werden, aber zur Erweiterung des Blickwinkels wurden auch Impressionen englischer und italienischer Reisender aufgenommen. Das älteste Buch, das vorgestellt wird, entstand im 17. Jahrhundert, die neuesten Beiträge sind 2017 erschienen.

Der Untertitel des Bandes verheißt eine "Donau-Anthologie der anderen Art". Und tatsächlich verdankt sich die Sammlung einem konsequent nicht-geographischen Zugriff. Wohl beginnt das Buch dort, wo auch der Fluss beginnt, nämlich an der Quelle, und es endet analog an der Mündung. Dennoch denken die Herausgeberinnen nicht so zielgerichtet wie der alte geographische Merkvers, der schlicht erklärt: "Die Donau kommt vom Schwarzwald her / und mündet in das Schwarze Meer".