Bindeglied ist ein Tagebuch

Aus den gegensätzlichen Perspektiven des Vaters, der die Welt davor kennt, und seiner beiden Söhne, denen jener genau diese Geschichte ersparen möchte, um sie (über-)lebensfähig für diese verwüstete Erde zu machen, ergibt sich die ganze Spannung des Romans. Das Bindeglied ist das Tagebuch des Vaters. Es ist das rätselhafte Herzstück des Comics, das diese Spannung fortlaufend erzeugt, denn der Vater hat den Söhnen das Lesen nicht beigebracht, was ihr Bedürfnis dahinterzukommen, was das Heft enthält, nur stärker entfacht.

Wirkt Gipis Comic - zumindest auf den ersten Blick - durch die spartanische Reduktion insgesamt wie ein Affront, so findet sich dazu eine Steigerung, als Lino, der jüngere Sohn, nach dem Tod des Vaters das Tagebuch aufschlägt: Ganze zehn Seiten und 30 Panels einer vollends unleserlichen Schrift mutet der Autor dem Betrachter zu. Man ist, wie Lino, doch ebenso aussichtslos, versucht, vielleicht auch nur ein Wort zu entziffern. Was enthält der Vater seinen Söhnen vor? Wo er sie andererseits mit Vorschriften und Verboten überschüttet? Das härteste darunter ist wohl das Verbot des Wortes "Liebe" und anderer Gefühlsausdrücke. Grob und lieblos tritt der Vater seinen Söhnen gegenüber als Hüter ihrer Welt. Die Welt der Söhne ist ein See. Wer diese Grenze überschreitet, stirbt.

Liebe ist verboten

Das behauptet zumindest der Vater und trichtert es seinen Söhnen ein. Am See ist ein Fischerhaus, eine kleine Insel. In der Figur des Vaters hat Gipi ein Paradox eines Vaters geschaffen, der seinen Söhnen, um sie fit für eine Welt der Brutalität und ohne Liebe zu machen, die Liebe verbietet. Was er ihnen vorenthält, ist die Erinnerung an eine andere, menschlichere Welt, die er selbst erlebte, die nun aber zerstört ist. Gerade darin, dass er ihnen diesen Konflikt ersparen will, so der Autor in einem Interview, drückt sich sein "ungeheures Maß an Liebe" aus.

Drumherum gibt es nur wenige Figuren, Aringo, einen Nachbarn, und eine Frau, die Hexe. Schließlich die Zwillinge und "die Gläubigen", vor denen der Vater seine Söhne schützen wollte. Doch um jemanden zu finden, der ihnen das Tagebuch ihres Vaters, sein Vermächtnis, enträtselt, verlassen sie die Grenzen ihrer Welt. Und so wie im Fluss der Erzählung die scheinbar hingefetzten Zeichnungen Gipis ihre eigene Anmut gewinnen, so lässt der Autor Lino in der offenen Begegnung mit einer Welt grenzenloser Rohheit und Unmenschlichkeit die Wurzeln seiner eigenen Humanität entdecken.