Es hätte alles ganz anders kommen können. Wäre die Weltgeschichte ein wenig anders verlaufen, hätte das Zisterzienserstift Heiligenkreuz einen charismatischen Abt weniger gehabt. Denn Gregor Ulrich Maria Karl Graf Henckel von Donnersmarck - wenn man alle seine Geburts- und Ordensnamen aufzählt -, hätte auch mitsamt seiner adeligen Familie in Schlesien bleiben können, wäre nicht die Rote Armee dort einmarschiert. Und so flohen die Eltern mit dem damals Zweijährigen und seinem sieben Jahre älteren Bruder Leo-Ferdinand zunächst nach Bayern, ehe sie fünf Jahre später nach Kärnten migrierte. Und hätte er nicht 1977 festgestellt, dass ihm die Tätigkeit als Geschäftsführer des Spanien-Ablegers des Transportunternehmens Schenker & Co. zu wenig Zeit für seinen Glauben blieb, und sein Leben komplett über den Haufen geworfen, wäre er heute vielleicht ein hochdotierter Wirtschaftsbonze.

So aber ist Gregor Henckel-Donnersmarck einer der bekanntesten österreichischen Ordensmänner geworden. Wie das gekommen ist, erzählt er, aufgeschrieben von der Lektorin Maria-Christine Leitgeb, auf 190 Seiten, die auch das eine oder andere alte Familienfoto enthalten. In Sachen Familiengeschichte holt er zu Beginn weit aus. 1417 wurden seine Vorfahren in Schlesien in den Adelsstand erhoben (und in der Folge entwickelten sich in der Familie eine katholische und eine protestantische Linie) - heute hat Gregor Henckel-Donnersmarck in Österreich kein "von" mehr. Doch schon bald nach dem anfänglichen historischen Exkurs wird es dramatisch; Am 28. Jänner 1945, zwei Wochen nach seinem 2. Geburtstag, bricht das gesamte Dorf in einem Treck auf, darunter auch die Mutter mit den zwei Kindern (der Vater ist schon 1943 in die Wehrmacht eingezogen worden) - wenige Tage später brennen sowjetische Truppen den Familiensitz Schloss Romolkwitz nieder.
Von Schlesien über Bayern nach Kärnten
Zunächst wächst der kleine Ulrich in Franken (Bayern) auf, wo seine Familie sich neuen Wohlstand aufbaut, ehe sie zu einem Onkel nach Klagenfurt zieht, wo Ulrich 1963 am Humanistischen Gymnasium maturiert, im Anschluss seinen Präsenzdienst ableistet und danach in Wien die Hochschule für Welthandel (heute Wirtschaftsuniversität) besucht. Ab 1970 ist er für Schenker & Co. tätig. Doch sieben Jahre später hängt er den dortigen Job an den Nagel und tritt als Novize ins Stift Heiligenkreuz im Wienerwald ein, wo er den Ordensnamen Gregor wählt.
Ein Schritt, der eigentlich schon früher erfolgen hätte können, wie er im Rückblick meint: "Insgesamt dreimal während meiner weltlichen Jahre war ich gefragt worden, ob ich mich nicht im Eigentlichen zu einem geistlichen Beruf berufen fühlte. Dreimal hatte ich das vehement verneint." Und so stellte kurz nach seiner Primiz ein alter Schulfreund fest, nicht nur er habe "schon immer g'wusst, dass du amol Pfarrer wirst".
Man fragt sich natürlich trotzdem, warum ein erfolgreicher Manager seinen gut dotierten Posten gegen das vergleichsweise karge Klosterleben inklusive Zölibat tauscht. Altabt Gregor erklärt das mit einem sehr starken religiösen Bedürfnis, das er erst in Heiligenkreuz ausleben konnte. Er erinnert sich auch, auf welche vehemente Ablehnung seine Entscheidung bei der Mutter stieß. Überhaupt kostete es ihn wesentlich mehr Mut, seinen Eintritt ins Kloster öffentlich zu machen, als der Eintritt selbst. Für das Stift jedenfalls dürfte es insgesamt ein Segen gewesen sein, denn als er dann 1999 Abt wurde, umfasste die Klostergemeinschaft 53 Zisterzienser - am Ende seiner Amstzeit 2011 waren es 84, heute sind es sogar 100.
Kunst und Wirtschaft
Diese Zeit - und auch jene davor als Prior im Zisterzienserstift Rein bei Graz, Assistent des Generalabts der Zisterzienser in Rom und Missio-Nationaldirektor in Österreich - schildert er mehr oder weniger ausführlich. Zwischendurch erzählt er auch kleine Anekdoten wie jene, dass sein Vater als Deutscher nicht in die polnische Armee eingezogen werden wollte und sich mittels Kettenrauchen und Treppenlauf untauglich stellte; oder er berichtet, wie er als Achtjähriger den Umzug von Bayern nach Kärnten erlebt hat; und natürlich beschreibt er auch seine persönliche Beziehung zum emeritierten Papst Benedikt XVI.
Einen Teil seiner Autobiografie widmet er aber nicht so sehr sich selbst, sondern den Themen, die ihn umtreiben. Der Wirtschaftsmensch, der immer noch in ihm stecken dürfte, geht der Frage nach, wie eine ethisch vertretbare Ökonomie aussehen kann; der Theologe lotet das Verhältnis zum Islam aus; der Christ widmet sich dem Thema Asyl; und der Hobbyhistoriker nimmt seine Leser in kleinen Exkursen mit in die religiöse Kunstgeschichte.
Am Ende zieht er ein positives Fazit über sein bisheriges Leben und stellt klar: "Die Krisen, die man mir aufgrund meiner späten Berufung immer wieder anzudichten versucht hat, gab es nicht." Auch Schicksalsschläge seien ihm weitgehend erspart geblieben. Freilich haben ihn der Tod seiner Eltern und vor allem seines Bruders (der Präsident der Deutschen Assoziation des Malteser-Ritterordens starb 2009 im Alter von 73 Jahren an Leukämie) getroffen, zumal damit viel Erinnerung an die Zeit in Schlesien verloren gegangen ist. Gregor Henckel-Donnersmarck hat dennoch viel an Wissen zusammengetragen, sodass seine Leser nicht nur ihn, sondern auch seine alte Heimat kennenlernen dürfen.
Gregor Ulrich Henckel-Donnersmarck:
Der Spediteur Gottes - Ein Leben zwischen Welt und Kloster
Ueberreuther; 190 Seiten; 24,95 Euro