Spannungsautor mit Botschaft: Marc Elsberg. - © Clemens Lechner
Spannungsautor mit Botschaft: Marc Elsberg. - © Clemens Lechner

"Wir spielen Kopf oder Zahl über 100 Runden. Jeder Spieler startet mit 100 Punkten, bei Kopf gewinnt er 50 Prozent seiner Punkte dazu, bei Zahl werden 40 Prozent abgezogen." Dass am Ende die Bank gewinnt, liegt auf der Hand, wenn man auch nur ein bisschen von Wahrscheinlichkeits- und Zinseszinsrechnung versteht.

Das Spiel, das einer der Protagonisten von Marc Elsbergs neuem Roman, "Gier", in einer Bar anfängt - und das in einer handfesten Schlägerei der Übervorteilten endet -, ist eines von mehreren Beispielen, wie der Autor den Themenbereich Weltwirtschaft, Ungleichheit und Handelsbeziehungen stemmt und für seine Leser auf den Boden bringt. Ein Konzept, das schon in "Blackout" (Infrastruktursicherheit), "Zero" (Internet und Daten) oder "Helix" (Gentechnik) gut funktioniert hat.

Tödlicher Unfall

Ausgangspunkt ist die Rede eines Nobelpreisträgers darüber, wa-rum Kooperation mit den Armen auch für Reiche vorteilhaft ist, die er in Berlin auf einem Sondergipfel inmitten einer neuen globalen Wirtschaftskrise halten soll - und die durch einen inszenierten tödlichen Autounfall verhindert wird.

Der Augenzeuge Jan Wutte (ein unterbezahlter Pfleger in einem Krankenhaus) bekommt von einem sterbenden Insassen noch ein paar Wortfetzen zugeflüstert, ehe er schon von bewaffneten Anzugträgern verfolgt wird. In wessen Auftrag die "Gorillas" unterwegs sind, wird erst später klar. Erst einmal gilt es für Wutte, aus den bruchstückhaften Informationen schlau zu werden und gleichzeitig die eigene Haut zu retten. Eine wichtige Rolle spielen dabei Globalisierungskritiker, die sich in Berlin zusammengerottet haben.

Nach und nach rollt Elsberg vor seinen Lesern nicht nur eine wilde Verfolgungsjagd mit prototypischen Teilnehmern aus (ein Underdog, der mit einem durch die Welt streunenden Mathematikgenie aus bestem Hause kooperiert, ein skrupelloser Tycoon und dessen moralisch höher angesiedelte Assistentin, die bereits erwähnten Gorillas sowie auf Polizeiseite eine engagierte Beamtin und ihr bornierter Sturschädel-Widerpart), sondern auch seine ökonomischen Thesen, die zwar von fiktiven Personen referiert werden, aber auf handfesten Recherchegesprächen mit realen Londoner Wissenschaftern basieren.

Während Jan und sein neuer Kompagnon mehr als nur einmal knapp davonkommen, lässt Elsberg seine Figuren in kurzen Atempausen ausführlich erläutern, wie globale Ungleichheit entsteht, was man dagegen tun könnte - und warum es nicht getan wird, obwohl es so einfach wäre.

Am Ende ist man erstens um einige ökonomische Erkenntnisse schlauer, zweitens noch ein wenig frustrierter über die Ungerechtigkeiten auf dieser Welt, und hat drittens eine actionreiche Geschichte gelesen, bei der man von der ersten bis zur letzten Seite mitfiebert - und zwar nicht nur mit der verfolgten Hauptfigur, sondern auch mit den Verfolgern.

Viele Grautöne

Denn bei Elsberg gibt es nie nur Schwarz und Weiß, sondern immer auch ganz viele Grautöne. Das gilt auch für die diversen handelnden Personen (vielleicht mit Ausnahme des Tycoons und des engstirnigen Polizisten, bei denen man sich selbst beim besten Willen nicht einmal ein Dunkelgrau vorstellen kann . . ).

Selbst seine wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse drängt einem der 1967 in Wien geborene ehemalige Werbefachmann und mittlerweile internationale Bestsellerautor nicht auf, sondern legt nur genau dar, wie und warum sie ihn selbst überzeugt haben, und gibt dem Betrachter damit die Möglichkeit, ihnen zuzustimmen - oder eben nicht.