Die einsetzende Abwanderung der Landarbeiter in die Städte wiederum macht auch für Holl den Weggang aus dem Dorf als Option denkbar. "Schöne Tage" und "Schattseite" sind zudem ein höchst nützliches Antidot gegen das unglaublich rasche Vergessen einer Generationserfahrung, die keineswegs nur das ländliche Milieu betrifft, in dem damals freilich noch gut ein Drittel der österreichischen Bevölkerung lebte.
Die nachtschwarze Pädagogik warf bis in die 1970er Jahre hinein lange Schatten über das Kindsein in Österreich. Die oft gewaltbereiten Patriarchenväter lasteten auf der Psyche der Kinder genauso unheilvoll wie das mit Einschüchterungsritualen funktionierende Schulsystem und der über beiden irdischen Autoritäten waltende und von ihnen schamlos herbeizitierte strafende Gottvater.
Innerhofer analysiert sehr genau das reibungslose Zusammenwirken dieser drei Säulen der dörflichen Herrschaftsverhältnisse, die einen realen wie mentalen Ausbruch fast unmöglich machten. Schon der kleine Holl beobachtet die strukturelle Analogie zwischen Kirchenmacht und pa-triarchaler Autorität. Zu Maria Lichtmess, dem traditionellen Termin, an dem die Dienstboten den Hof wechselten oder ein weiteres Jahr blieben, ruft sie der Bauer einzeln in seine Kammer hinauf, "streng nach ihrer Rangordnung", um sie "im Zuge von althergebrachten Beichtstuhlmethoden zu überrumpeln, um sie ganz klein zu machen und gleichzeitig ein bißchen leben zu lassen".
Zentral für die Effektivität dieses Unterdrückungssystems ist die Einschüchterungspraxis des Dorfpfarrers, die tief und unheilvoll in die Köpfe und Leiber der Menschen eindringt, was Fritz Lehners einfühlsame Roman-Verfilmung von 1982 beeindruckend in Bilder umsetzte. Wie nachhaltig das geschlossene System an unhinterfragbaren (Vor-)Urteilen und Werten das Denken der Menschen prägt, beobachtet Holl auch an sich selbst. Als Schmiedelehrling fällt ihm plötzlich auf, dass er, der ungeliebte ledige Sohn eines Großbauern, der sich selbst immer auf der Seite der Entrechteten dachte, schon als Kind "kleine Grundstücke" lächerlich fand. "Menschen ohne Besitz habe ich nicht verachtet, aber kleine Grundstücke habe ich verachtet."
Machtinstanzen
Das Zusammenspiel der Macht- instanzen bedeutet auch, dass Holl auf seiner Heldenausfahrt fort aus der Bauernwelt weder im Pfarrer noch im Lehrer oder Dorfarzt einen Mentor findet, denn sie alle sind primär daran interessiert, dass Holl am väterlichen Hof eine möglichst effiziente Arbeitskraft abgibt. Ihnen geht es nicht darum, dass er etwas lernt, sondern dass seine wochenlangen schulischen Absenzen während der Erntezeit ordnungsgemäß bescheinigt werden. Unterstützung erfährt Holl erst durch seinen Lehrherrn. Doch schon dieser erste Milieuwechsel geht nicht ohne Schrammen ab, da weder die Dörfler noch die jungen Männer aus der Arbeitersiedlung wissen, wie sie sich zum einstigen Großbauernsohn und nunmehrigen Lehrling positionieren sollen.