Am 18. Mai 2019 wäre W. G. Sebald 75 Jahre alt geworden. Hätte er diesen Geburtstag noch erlebt, so würde er - aller Voraussicht nach - als Nobelpreisträger auf ein international anerkanntes Werk zurückblicken können, das neben seinen viel gepriesenen Prosatexten auch aus Gedichten und womöglich auch szenischen Texten bestehen würde.

Doch so weit ist es nie gekommen. Ein Herzfehler hat Sebald, gerade einmal 57 Jahre alt, 2001 aus dem Leben gerissen. Der Roman "Austerlitz", nur wenige Monate vor seinem Tod erschienen, ist so sein literarisches Vermächtnis geworden. Er hat ihm Weltruhm eingebracht.

Dass es einmal so kommen würde, war kaum zu erwarten gewesen, als er 1944 im Allgäuer Dorf Wertach, nahe der Grenze zu Tirol, auf die Welt kam. Sein merkwürdiger Lebenslauf führte Sebald aus der bayerischen Peripherie über das heruntergekommene Manchester zurück in eine andere Peripherie, nämlich den East Anglia genannten Osten Englands. Poringland hieß das Dorf am Ende seiner Lebensreise. Eine neue Heimat aber hat er dort nicht wirklich gefunden.

Aber Heimat, was heißt das überhaupt? Übersetzen, im eigentlichen Sinne, kann man dieses Wort bekanntlich nicht. Heimat, das ist zunächst und ureigentlich die Sprache, in der wir die Welt erfassen, wenn wir heimisch werden in ihr als Kinder. Deswegen ist umgekehrt auch der Inbegriff von Fremde überall dort zu finden, wo man nichts oder zumindest nicht alles versteht: wo eine Fremd-Sprache gesprochen wird.

"Dieses Kaff Wertach"

Sebalds erste Sprache war der Dialekt, die Umgangssprache seines Allgäuer Dorfes. "Einen abgelegeneren Ort, als es dieses Kaff Wertach damals gewesen ist", könne man sich nur schwerlich vorstellen, erklärte er später einem Interviewer. Betrachtet man Postkarten des Dorfes aus den fünfziger Jahren, versteht man das sofort. Wertach, so hat es Sebald später formuliert, lag in einer Art Zeitwellental, das der generelle Fortschritt hinter sich gelassen hatte.

Die Ungleichzeitigkeit der Zeit. "Stellen Sie sich einen Ort wie Wertach vor, abgelegen von allen Verkehrswegen. In meiner Kindheit gab es da keine Maschinen", sagte Sebald über seinen "Kindheitsort, der sich in meinen Gefühlshaushalt deutlich eingeprägt hat, wie in einem Einweckglas".

Sebald trug die Heimat so immer in sich. In den 1990er Jahren, als er eine Recherchereise nach Korsika unternahm, fühlt er sich in einer Schlucht plötzlich "niedergedrückt von dem vor Jahrmillionen aufgeworfenen Gestein, zumal es mich erinnerte an die finstern Täler meiner alpenländi-schen Kindheit, über denen im Winter die Sonne nur um die Mittagszeit eine Weile als ein blaues Trugbild erschien".