80 Seiten dauert es diesmal, bis Jack Reacher ein paar halbstarken Bauernlümmeln in der amerikanischen Provinz zeigt, wo der Hammer hängt. Dabei weiß der Mann,der chronisch auf der Durchreise ist, noch nicht einmal, welche dubiosen Machenschaften von Lokalgrößen er diesmal zu zerstören dabei ist. Im Grunde ist es aber auch egal, weil bei Lee Child ohnehin weniger das Ergebnis, sondern die Erzählung der stets unverhofften Ermittlung des entlassenen Militärpolizisten an sich im Vordergrund steht.

Auch im 20. Band verkörpert Reacher den uramerikanischen Lonesome Ranger: uneitel, unbestechlich, (ein bisschen selbst-)gerecht, notfalls brutal und doch ein Gentleman der alten Schule, wenngleich mit einem sehr spröden Charme. Dazu kommen ein breit gefächertes Wissen über sein Heimatland im Allgemeinen und Polizeiarbeit im Speziellen sowie eine ausgeprägte Kombinationsgabe, die mindestens so schnell ist wie seine körperlichen, antrainierten Reflexe. Diesmal, um das doch noch zu erwähnen, hilft er einer Privatdetektivin, ihren mutaßlich in der Provinz ermordeten Kollegen zu suchen, und kommt dabei natürlich lokalen Kriminellen in die Quere. Dass dabei der eine oder andere Knochen gebrochen, ein Hoden gequetscht oder ein Kopf durchschossen wird, ist business as usual bei Lee Child. Und wenn Reacher ein Schloss knacken muss, um weiterzukommen, dann tut er auch das einfach. Ungewohnt ist diesmal nur ein vergleichsweise geringer Fausteinsatz, stattdessen greift Reacher öfter zur (einem Gegner entwundenen) Schusswaffe.

Ungewöhnlich sind diesmal die großen Distanzen, die Reacher gemeinsam mit der Detektivin zurücklegt: Oklahoma City, Los Angeles nach Chicago, Phoenix, Silicon Valley - Reacher kommt ganz schön herum. Es ist aber kein Roadmovie, sondern fast schon ein klassischer Kombinatorik-Krimi, in dem Reacher zunächst - ebenso ungewöhnlich - wenig Kontakt mit Schlägertrupps und anderen unguten Zeitgenossen hat, zumindest in der ersten Hälfte des Buches. Dafür darf er umso mehr als analytischer Beobachter glänzen. Und Lee Child macht sich dann und wann einen Spaß daraus, seine Leser unter Spannung zu setzen, nur um dann die Szene durch einen Kniff wieder zu entschärfen - und so Reacher um die gewohnte Schlägerei zu bringen. Dafür geht es an anderer Stelle zur Sache, nämlich mit der attraktiven Frau an seiner Seite.

Hardcore-Fans mögen die erste Hälfte der 445 Seiten also vielleicht ein bisschen weichgespült finden. Erzählerisch sind sie aber von vorne bis hinten gut durchkomponiert. Und in der zweiten Hälfte wird es dann ohnehin wieder ziemlich brutal. Am Ende wünscht man Reacher jedenfalls noch viele weitere derartige Abenteuer. Passende Kaffs in der amerikanischen Provinz als Ausgangspunkt gibt es ja zur Genüge...

Lee Child: Keine Kompromisse
Blanvalet; 445 Seiten; 22,70 Euro