Monumentalsteht es da, das steinerne Tor an der Loire-Mündung: an seiner Rückseite die geschlossene Welt des "Lazaretts", an der Stirnseite die grenzenlose Weite des Ozeans. Der französische Schriftsteller Patrick Deville kennt diesen Ort bei Saint-Nazaire nur allzu gut. Tagtäglich war er als Kind durch die eisernen Gitterstäbe dieser Schwelle hindurchgeschlüpft, hinaus zum atlantischen Strand. Und oft genug hatte er sich zu jenem entrückten Sonderling gesellt, der so gern beim Tor saß und vor sich hinpsalmodierte: "Taba-Taba-Taba / Taba-Taba-Taba, mit einer perfekten Zäsur in der Mitte des Alexandriners". Besagter Mann war Insasse des "Lazaretts", einer Anstalt für psychisch Kranke, in der Patrick Deville seine ersten acht Lebensjahre verbrachte - als Sohn des Anstaltsleiters.

Unermüdlich durchlief Deville die Kontinente, stets auf den Spuren von Entdeckern, Erfindern, Revolutionären und famos Gescheiterten. Sie sind die Helden dieses literarischen Großunternehmers. Nun rollt er die eigene Familiengeschichte auf. Das Archiv seiner Großtante Monne erweist sich dabei als nahezu unerschöpfliche Quelle. "Taba-Taba", der Spitzname des psalmodierenden Kindheitsgefährten, liefert den Titel für diesen 2017 im Original erschienenen Familienroman. Die großartige deutsche Version verdanken wir dem kongenialen Deville-Übersetzer-Duo Holger Fock und Sabine Müller.
Wer je ein Buch dieses preisgekrönten Autors (etwa "Pura Vida", "Viva", Äquatoria", "Kampuchea", "Pest & Cholera") gelesen hat, ahnt: Der passionierte Welterkunder Deville wird auch seine Familienchronik (sie umfasst vier Generationen) als Teil der französischen Historie und des Weltgeschehens erzählen. Dabei wird er Räume und Zeiten virtuos ineinander verschränken: "Das Leben der Völker verläuft wie das der Menschen nicht chronologisch
(. . .), und Ereignisse, die man unter dem Staub der Jahrhunderte vergessen glaubte, wirken sich mit einem Mal auf die Gegenwart aus und erschüttern die Zukunft." Denn alles greift ineinander, immerfort.
Der Autor wird das Private neben das Amtliche, das Große neben das Kleine stellen, wird aus dem "Umzugskrempel" der Deville-Generationen jene Dinge hervorholen, die alle Zeiten überdauert haben: die 19-bändige "Geschichte Frankreichs" von Jules Michelet, Zeitungsausschnitte und Rechnungen, ein Olivenholzkamel aus Jerusalem, eine Reproduktion des Gemäldes "Angelusläuten" von Jean-François Millet.