In der Kritik werden oft die Bücher von Didier Eribon oder Edouard Louis als Referenzpunkte herangezogen. Doch Mathieus Roman ist zu wenig offen autobiografisch, zu sehr fiktional - und vor allem zu wenig auf Erklärung oder gar Moralisierung aus, als dass solche Vergleiche wirklich erhellend wären.
Viel eher ähnelt sein multiperspektivisches Gesellschaftspanorama dem, was Virginie Despentes mit "Das Leben des Vernon Subutex" so vorzüglich für das Paris der nicht ganz so Reichen und Schönen gelungen ist. Und ganz ähnlich wie Despentes erzählt Mathieu mit viel Witz und Lakonie. Beispielsweise in einer eigentlich tieftraurigen Szene, in der Anthonys Vater (Typ verwahrlosender Trinker) seinen Sohn eines Abends mit einem Mädchen auf der Tanzfläche eines Lokals beobachtet:
"Er hielt sie fest an sich gedrückt, und die beiden bewegten sich mit der Trägheit von Quallen. Die näselnde Stimme von Eros Ramazzotti sang von Liebesleid, und die Paare, die sich jetzt fester umfassten, schienen wie von der Schwere des eigenen Schicksals überwältigt. Die Frauen erinnerten sich vage an vergangenen Kummer. Auch die Männer ließen die Deckung fallen, und auf ihren Gesichtern spiegelte sich ihr schlechtes Gewissen, eine Art Kränkung. Im Schutz dieser armseligen Melodie erschien ihnen das Leben auf einmal als das, was es war, ein Entwurf, eine Reihe falscher Anfänge. Das traurige Lied des Italieners flüsterte ihnen das Geheimnis dieser unglücklichen Existenzen ins Ohr, von Scheidungen und Trauerfällen geschwächt, von Arbeit ausgehöhlt, an allen Enden zurechtgestutzt, voller schlafloser Nächte und Einsamkeit. Das machte nachdenklich. Man liebte sich, man starb, man hatte es nicht in der Hand, weder sein Streben noch sein Sterben."
Gesunder Zynismus
Nicolas Mathieu ist ein Meister solch feiner Beobachtungen, der im scheinbar Nebensächlichen den Kern des Daseins entdeckt. Sein Roman ist eine (im Übrigen ziemlich gut übersetzte) "comédie humaine", die bei aller Komik nicht selten zu Tränen rührt, ohne dabei je ins Rührselige abzugleiten.
Und trotz aller Tristesse - und trotz des Titels, der der Bibel entstammt - hat der Roman "Wie später ihre Kinder" nichts Fatalistisches an sich, sondern eher einen "gesunden Zynismus". Diesen bescheinigt der Autor einer seiner Nebenfiguren, Nath, der Frau von Anthonys Cousin. Sie arbeitet bei der Stadtpolizei und glaubt "kein bisschen an dieses Schwarz-Weiß-Arabisch" des WM-Fiebers. "Für sie war das eine vorübergehende Marotte, ein grotesker Rausch."
Wer diesen großartigen Roman liest, weiß, warum sie recht hat.
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