Heimito von Doderer, hier in der Uniform der Dreier-Dragoner, verbrachte vier Jahre (1916-20) in sibirischer Gefangenschaft. - © Hannelore & Gustav König
Heimito von Doderer, hier in der Uniform der Dreier-Dragoner, verbrachte vier Jahre (1916-20) in sibirischer Gefangenschaft. - © Hannelore & Gustav König

Wir schreiben November 1919, in dem sich bereits ein strenger Winter ankündigt. Viele Zivilisten und ehemalige Soldaten werden, bedingt durch Hunger, Gewalt und Infektionen, ihr Leben lassen müssen. In Zentraleuropa herrscht nach den Friedensverträgen der Pariser Vororte ein fragiler Frieden. Aber noch befinden sich tausende Soldaten der ehemaligen Mittelmächte fern der Heimat in sibirischen Lagern in Orten wie Krasnojarsk oder Nowosibirsk (damals: Nowonikolajewsk).

Manche von ihnen versuchen, sich auf abenteuerlichen Wegen in Richtung Westen durchzuschlagen, und geraten in die Fänge des russischen Bürgerkriegs. Die Angehörigen und Frauen vermissen ihre Verwandten und Partner. Die österreichische Regierung des Staatskanzlers Renner in Wien kann den in Sibirien festsitzenden Kriegsgefangenen kaum helfen. Diese sind auf Besuche von skandinavischen Delegierten, wie etwa dem für Dänemark tätigen Xaver Schaffgotsch und guten Geistern wie Elsa Brandström, angewiesen.

Alliierte Interessen

Die österreichische Regierung hingegen kämpft selbst mit elementaren Problemen wie dem Mangel an Nahrungsmitteln und Brennstoff. Immer noch schwelen Konflikte auf Kärntner Boden und im späteren Burgenland. Im Lichte dieser Kulisse geraten die ehemaligen k.u.k. Soldaten im fernen Osten in Vergessenheit.

Nicht alle Kriegsgefangenen waren damals in Lagern interniert, in Sibirien und Transbaikalien kämpften zur Jahreswende 1919/20 auch österreichische und deutsche Soldaten an unklaren Fronten und für fragwürdige Ziele. Viele von ihnen hatten zunächst mehrere Jahre in zaristischen Lagern zugebracht, wo zwar Flecktyphus und Ruhr grassierten, aber der kriegsrechtliche Status eindeutig war. Als sich das Ende der Kampfhandlungen an den Weltkriegsfronten näherte, gab es Hoffnung auf mehr Freizügigkeit, die Internierten durften die Lager zu Ausgängen und Arbeiten verlassen.

Doch als der Bürgerkrieg zwischen Rot und Weiß tobte, gerieten die "Plennys" (russisch für Kriegsgefangene) in Gefahr. Die lokalen Kommandeure missachteten das Völkerrecht, es kam zu Zwangsrekrutierungen und einer weiteren Verschlechterung der Versorgung. Wer im Lager verblieb oder weiter nach Osten getrieben wurde, stand nun unter der Aufsicht von Deportationstruppen oder Legionären.

Schon vor der Revolution hatten russische Kommandeure das militärische Potenzial entdeckt, das in Überläufern und in jenen Gefangenen steckte, die sie wegen der Namen für Slawen hielten. Diese galt es, freiwillig oder (häufiger) mit Gewalt dazu zu bringen, wieder an die Front zurückzukehren und gegen die einstigen Kameraden zu kämpfen.