
Wer sich für die Biografie von Heimito von Doderer interessiert, stößt zwangsweise auf einen Mann, der dem derzeit in zwei Wiener Theatern aufgeführten Autor nie leibhaftig begegnet ist, obwohl beide auf denselben Wegen wandelten.
Unterschiedlicher könnten die Lebenswege des Sozialwissenschafters Gregor Sebba und des promovierten Historikers Doderer gar nicht sein, so meint man zunächst, ehe gewisse Parallelen augenfällig werden. Während der Mann, dessen Name an Kafkas zum Insekt verwandelten Handelsvertreter (Gregor Samsa) und an Handkes Hauptfigur in "Die Stunde der wahren Empfindung" (Gregor K.) erinnert, im estnischen Libau zur Welt kam, sah der kleine Heimito das Licht der Welt mit seinen asiatisch anmutenden Augen erstmals im damals niederösterreichischen Weidlingau (heute Wien-Penzing).
Doderer kam 1896 im Laudonschen Forsthaus zur Welt und starb 1966, Sebba lebte hingegen von 1905 bis 1985, worin Zahlenmystiker vielleicht eine Besonderheit sehen würden, weil sich der eine Autor bzw. dessen Schöpfer die 6er Jahre auserkor und der andere die 5er.
Die USA als Ziel
Aber darum geht es hier gar nicht, sondern um die seltsame Begebenheit, dass sich Sebba, der in Südtirol aufgewachsen war und zwei Doktortitel trug, nach Scheitern einer Beziehung in den 30er Jahren in Wien-Josefstadt einmietete und dort genau jenes Atelier bewohnte, das Doderer unter nicht restlos geklärten Umständen im Herbst 1938 mit seinem Lehrer und Freund Albert Paris Gütersloh (eigentlich Kiehtreiber) bezog.
Hier klaffen die Biografien fast wie nach Opfer-Täter-Schema auseinander: Der aus jüdischer Familie stammende Sebba wurde zum NS-Opfer, während Doderer zumindest in den Jahren 193340 als NS-Sympathisant galt und auch im April 1933 der Partei beigetreten war, die bald ihr hässliches Gesicht zeigen sollte.
Aktenkundig ist die Tatsache, dass Sebba am 16. März 1938, also in den ersten Wochen der NS-Machtübernahme in Österreich, überraschend verhaftet wurde und, wenn überhaupt, nur mehr kurz in das Atelier zurückkehrte. Er meldete sich nach der Entlassung aus der Gestapo-Haft bei seiner Ex-Gattin Irene in der Grünangergasse unweit des Stephansdomes als Untermieter und bereitete dort seine Emigration in die Niederlande vor, die mit einer Reise nach Rotterdam am 16. August 1938 begann.
In der Zeit zwischen Sebbas Abmeldung und Doderers Einzug vergingen einige Monate, in denen eine dem Wiener Autor bekannte und eng befreundete Medizinstudentin als Mieterin auftrat und mit zwei weiteren Bekannten das Atelier einrichtete. Das war nichts Ungewöhnliches, denn die sportliche junge Frau hatte schon mehrfach für Doderer Wohnungen, meist Ateliers in Döbling, angemietet. Das Auffinden der Josefstädter Wohnung soll auf ein Inserat zurückgehen, das die Tochter der Hauseigentümerin Gisela Wähner, die Malerin Trude Wähner (auch: Waehner), geschaltet haben soll.
