
Einmal sollte man das gewählte Motto eines Autors ganz ernst, ja wörtlich nehmen. "Ich fürchte, wir haben eines nicht verstanden: dass die Menschen der Geschichten wegen existieren, nicht umgekehrt." Diesen Satz des norwegischen postmodernen Autors Jan Kjærstad setzt der Schweizer Markus Bundi vor die Zusammenstellung von einundzwanzig, davon elf erstmals veröffentlichten Erzählungen aus zwanzig Jahren.
Der 50-jährige Bundi, studierter Philosoph und Literaturwissenschafter, ist ein Ausbund an Vielgestaltigkeit. Hauptberuflich seit langem als Gymnasiallehrer in Aarau im gleichnamigen Schweizer Kanton tätig, davor Kulturredakteur, publiziert er seit knapp zwanzig Jahren Prosa und Gedichte, betreut seit 2010 im Schweizer Wolfbach Verlag eine anspruchsvolle Lyrikreihe voller Entdeckungen, gab das Gesamtwerk von Klaus Merz heraus und schrieb kluge lange Essays über Marlen Haushofer, Alois Hotschnig und Franz Tumler und brachte zuletzt einen vielgelobten Kriminalroman ("Alte Bande") heraus.
Ebenso vielgestaltig und leichtfüßig über konventionelle Beschränkungen hinweg tänzelnd ist auch seine kurze und kürzere Prosa. Da gibt es Miniaturen, etwa "Frühstück" mit surrealistischem Anflug: "Ich fange ihren Atem mit meinem Atem ein. Am besten gelingt mir das an kalten Tagen, dann sind die Wölkchen, die sie ausatmet, für kurze Zeit sichtbar."

Da gibt es eine Schilderung einer Israel- und Jordanien-Fahrt, die Bundi nach neunzehn Jahren zufällig wieder in die Hände fällt. Mit ferner Lebensdistanz liest er seine damaligen Aufzeichnungen. Den Text hat er zwar nun in den vorliegenden Band aufgenommen, wenn auch unter einer entscheidenden Bedingung: "Nichterzählen gilt nicht."
Da gibt es eine konsumkritische Phantasmagorie über Wandler in einem Einkaufszentrum, eine Art von Geistern, die die Kaufenden begleiten.
Es gibt mit der Titelgeschichte einen nachdenklichen Rapport über eigene Zurückhaltung angesichts eines Prozesses gegen einen türkisch-irakischen Schweizer Buben, der im Hauptbahnhof Zürich einen Fotoautomaten in die Luft sprengte - sein zwei Jahre zuvor verunfallter Onkel hatte ihm erzählt, dahinter säße ein Mann, dem man alles erzählen könne, wofür niemand anderer ein Ohr hätte - und der medial als islamistischer Attentäter vorverurteilt wurde; woraufhin die Familie ihre Existenzgrundlage verlor.
Virtuosität, formaler Reichtum zwischen Monolog und sachlichem Rapport, überraschende Brüche und stilistische Überraschungen sind hier Programm.