Paul Celan hat nichts gewusst vom Coronavirus. "Aus der Hand frisst der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde. / Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehen: / die Zeit kehrt zurück in die Schale." So hebt sein Gedicht "Corona" an. "Corona", das ist für Celan damals, 1948, ausschließlich das lateinische Wort für "Kranz", nämlich für den zumindest imaginären Brautkranz, mit dem er die Dichterin Ingeborg Bachmann bekränzen will.

Die Geschichte hat etwas von einer Amour fou. Einer Liebe mit Facetten des Wahnsinns. Celan und Ingeborg Bachmann lernen einander im Atelier des Malers Edgar Jené in Wien kennen. Ingeborg Bachmann schreibt ihren Eltern: "Der surrealistische Lyriker Paul Celan, den ich bei dem Maler Jené am vorletzten Abend mit Weigel noch kennenlernte, (...) hat sich herrlicherweise in mich verliebt."

Was vorerst nicht einmal den Laufpass für den anderen bedeutet, für Hans Weigel, den Literaturkritiker und Förderer junger Talente, der sich für den Entdecker des außerordentlichen Talents der Bachmann - ja, was nun? - hält? Inszeniert?

Im Beziehungsnetz

Der eigentliche Entdecker der Bachmann ist der Lyriker Hermann Hakel, auch er ein Förderer junger Talente. Wie bei Weigel war eine Intimbeziehung im Spiel, doch sie entwickelte sich ungünstig. Hakel wird sich mit einem wenig einnehmenden Porträt der Bachmann rächen, aus dem man seinen Schmerz herausliest: "Apokalyptische Sibylle" und "anrüchige Lebedame" in einer Person nennt er sie. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki bestätigt später Hakels Befund in seiner Südwestfernsehen-Literaturserie "Lauter schwierige Patienten" zwischen den Zeilen, aber deutlich genug, dass man sich fragt, ob die Bachmann auch auf ihn, den Literaturpapst, eine über die Verskunst hinausreichende Wirkung ausgeübt haben mag.

Wie dem auch sei: Was sich zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan abspielt, ist echt. Dennoch: Als Celan nach Paris geht, bleibt Ingeborg Bachmann in Wien. In ihren Briefen an ihn gesteht sie ihm ihre Affären. Sie setzt auch die Beziehung mit Weigel fort, ehe es zu einer schmerzvollen Trennung kommt.

Der imaginäre Brautkranz auf Ingeborg Bachmanns Kopf welkt durch die Entfernung Wien-Paris. Celan sendet seiner Geliebten einen Ring, dann fordert er ihn zurück. Auf seine Bitten, nach Paris zu kommen, folgen jetzt die Bitten, nicht nach Paris zu kommen: Celan hat Gisèle de Lestrange kennengelernt. 1952 heiraten die beiden. Celan rettet sich in die Distanz zur Bachmann.

Sie aber hat nicht vor, ihn aus ihrem Beziehungsgeflecht zu entlassen. Die Tagungen der Gruppe 47 stecken die Koordinaten der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur ab. Eine ihrer Instanzen ist Reich-Ranicki, der die Modalitäten für den Ingeborg-Bachmann-Preis adaptiert. Ingeborg Bachmann ist zum Treffen des Jahres 1952 eingeladen. Sie will die Tagung instrumentalisieren, um wieder an Celan heranzukommen. Tatsächlich kann sie seine Einladung durchsetzen. Was stellt sie sich vor? - Einen gemeinsamen dichterischen Triumph, dem der private folgt? Der Dichterlorbeer als Corona, als Brautkranz?

Celan fällt durch

Es kommt anders. Die Bachmann strahlt im Glanz der Spontankritik. Alles hat sie richtig gemacht: Sich als schüchterne, nahezu verhuschte Autorin inszeniert, ihre Gedichte beinahe betonungsfrei vorgenuschelt. Celan indessen trägt mit singendem Pathos vor, das seine kühne Metaphorik verzerrt. Er fällt durch. Das Fiasko ist so groß, dass er keinen Kopf hat für ein Wiederanknüpfen mit der Bachmann. Sie tröstet sich mit dem deutschen Komponisten Hans Werner Henze, der zwar offen homosexuell ist, aber eine über Freundschaft hinausreichende Nähe zu ihr sucht. Zeitweise überlegen die beiden sogar eine Ehe.

Die kommt nicht zustande, immerhin aber brechen die beiden gemeinsam nach Italien auf, wo man sich unter der Sonne Neapels freier fühlen kann als im zunehmenden Muff der deutschen Nachkriegszeit.

Jetzt entwickelt Ingeborg Bachmann das Talent einer Jongleurin. Spielball sind zwei Männer: Celan und Henze, so hat sie beschlossen, dürfen voneinander nichts erfahren. Immerhin: Ein bisschen was gibt sie gegenüber Celan preis. Aber Henze erfährt nichts von Ingeborg Bachmanns Beziehung mit Celan.

Zwei Tragödien zum Schluss

Eine Komödie wäre es - gäbe es nicht diese Bitterkeit: 1957 treffen die Bachmann und Celan nochmals aufeinander. Alle Gefühle sind wieder da. Doch beim gleichen Anlass lernt sie Max Frisch kennen und geht mit ihm eine Beziehung ein. Celan wiederum wird in eine Plagiatsaffäre um die Dichtung Yvan Golls verstrickt. Sie nimmt ihn dermaßen gefangen, dass für die ohnehin komplizierte Beziehung mit der Bachmann kein Platz bleibt.

Die große Liebe droht zu versickern. Solch einem unwürdigen Ende kommt die Bachmann zuvor: In einem Brief vollzieht sie einen harten Schnitt. Ein Abschied für immer.

Der Rest ist Tragödie: 1970 begeht Celan Suizid. 1973 stirbt die mittlerweile suchtkranke Ingeborg Bachmann an Brandverletzungen. Sie war im Bett mit einer glimmenden Zigarette eingeschlafen.

Wenn nichts anderes von der Beziehung zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann bliebe, so bliebe doch Celans Gedicht "Corona". Es ist ein Wunderwerk. Man sollte es unabhängig von der Krise lesen. Aber wenn der Zufall der Namensgleichheit die Bekanntschaft mit diesem Sprachkunstwerk herbeiführt, dann hat selbst diese Bedrängnis noch etwas Gutes gehabt.