
Daniel Wisser verfasst seit Jahren Prosa-Miniaturen, denen häufig eine epische Dimension innewohnt. Diese reizvolle Diskrepanz findet sich auch in seinem jüngsten Buch, der Sammlung "Unter dem Fußboden", eine erweiterte Neuauflage des Bandes "Kein Wort für Blau", erschienen im Klever Verlag. Den Kern dieser Roman-Miniaturen bildet in aller Regel eine historische Person, die aufgrund ihrer Motivation und bedingt durch geschichtliche Widrigkeiten in ein tragikomisches Fiasko hineinstolpert.
Dabei ist es gerade der Tonfall, der die Fallhöhe der Helden beträchtlich vermehrt: Denn Wisser arrangiert akkurat recherchierte Daten und Fakten, benennt Details im Gestus einer Nachrichtenvermittlung und lässt den nüchternen Vortrag auf Geschehnisse prallen, die lapidar vom grotesken Scheitern erzählen.
Manchmal ist diese Fallhöhe der Helden buchstäblich zu verstehen. So berichtet der Text "Nichts" vom gescheiterten Versuch der Alpinisten Antoine Vieille, Robert Guillaume, Andrea Oggioni und Pierre Kohlmann, den Montblanc zu besteigen. Alle vier kamen dabei um. Ebenso wie die Dokumentarfilmer, die über diese Katastrophe berichten, und auch die ihnen nachfolgenden Filmemacher, die über die fatalen Dreharbeiten informieren wollen. Der Text endet schließlich mit dem Kommentar eines schwer verletzt Überlebenden, der aufgrund der vorherrschenden Bewölkung gar nichts vom imposanten Gebirgsmassiv erkennen konnte.

Doch letztlich bildet der Metatext dieser Berichte eine "Chronik der Vergeblichkeit". Wisser erzählt von historischen Nebenfiguren, von vereitelten Helden, und er erzählt eine Geschichte mutmaßlicher Nebenschauplätze - in der Miniatur "Mondschein" beispielsweise vom aufgelassenen Friedhof St. Ulrich im Bezirk Neubau in Wien.
Ebenso liest man in fast allen Texten von eben nicht gemeisterten Herausforderungen, denen sich Menschen stellten, um Neues zu erfahren und Unbekanntes zu ergründen: Erfinder wie Entdecker, Liebeshungrige wie Sportler, Besessene wie Unscheinbare sind die Protagonisten dieses Erzählkosmos. Episch werden die Miniaturen dadurch, dass sie ein Schicksal en passant in eine historische Klammer einbetten, dass sie vom Verlust der Berufung genauso erzählen wie vom Finden dieser. Aber ist nicht genau das die Geschichtsbetrachtung, die uns erst die Augen öffnet?
Auch wenn die Länge der Miniaturen deutlich über dem Twitter-Maß liegt, so übertreffen die Texte in ihrem Umfang praktisch nie einen Wikipedia-Eintrag. Manche Erzählungen sind derart exzen- trisch, dass man als Lesender mit gutem Grund skeptisch ist und dann doch erstaunt den Kopf schüttelt, weil einem eben Wikipedia den Wahrheitsgehalt der Absurditäten bestätigt.
Wenn Wisser vom sogenannten "Schiffbruch-Kelly" erzählt, der nicht nur in wundersamer Weise zahlreiche Unglücke überstanden, sondern auch eine besondere Marotte - nämlich das Sitzen am Fahnenmast - kultiviert hat, dann ergänzt die Internet-Recherche, dass sein Sohn Alvin Kieran Kelly als Zirkusartist 1973 von einem wenig folgsamen Elefanten zu Tode getrampelt wurde. Auf seinem Fahnenmast saß Schiffbruch-Kelly auch, als er die Mutter dieses unglücklichen Zirkusartisten kennenlernte: seine Frau Frances.
Versöhnlich stimmt der Gedanke, dass einem nach der Lektüre dieser Geschichten nichts Menschliches mehr fremd ist.