Als Ghassan Zeaiter sieben Jahre alt ist, flüchtet er mit seiner alleinerziehenden Mutter und seinen drei Brüdern aus dem Bürgerkriegsland Libanon - 20 Jahre später lebt er als Rapper in Deutschland, nennt sich Zuna und erzählt seine Lebensgeschichte. Es ist die Geschichte eines Flüchtlingskindes.

Zum Abschied schenkt ihm ein Onkel, der im libanesischen Dorf zurückbleibt, ausgerechnet "Die Odyssee" - das erste Buch seines Lebens könnte passender nicht sein, mit Blick auf den weiteren Verlauf seiner Reise in eine hoffentlich bessere Zukunft. Denn Ghassan und seine Familie (der Vater ist im Krieg gefallen) wollen ursprünglich in die USA ausreisen. Doch kurz vor dem Aufbruch passiert 9/11, und plötzlich ist die Einreise für Menschen aus der Region nicht mehr möglich, die Visa der Familie werden aufgehoben. Also flüchten die Zeaiters nach Europa. Doch zunächst landen sie in Togo, bei einem Onkel, der sich dort eine neue Existenz aufgebaut hat. Doch für Ghassan wird es zum Albtraum: Erst stirbt er fast an Malaria, dann muss er eine Schule besuchen, in der auch im 21. Jahrhundert noch Kinder geschlagen werden. Wie er überhaupt von einer Gesellschaft erzählt, in der Körperstrafen Teil der Kindererziehung sind.
Dennoch leben die Zeaiters in Togo wie die Könige, so scheint es Ghassan. Sie wohnen in einer riesigen Villa mit Bediensteten, und bis auf die Schule und die Hitze könnte es nicht besser sein. Das frohe Leben nimmt aber ein jähes Ende, und es geht endlich weiter nach Europa, wo die Familie zunächst in Frankreich landet. Das Paradies, das seine Mutter für die vier Söhne sucht, wird sie aber noch länger nicht finden. Sie sind jetzt Asylwerber - mit allen Konsequenzen, die das mit sich bringt. Zuna schildert den Zustand von Asylunterkünften, in denen er seine Kindheit verbracht hat, mit denen sich die Kinder besser arrangieren als die Erwachsenen. Und er erinnert sich vor allem an sein kindliches Unverständnis, was hier besser sein soll als im Libanon oder in Afrika.
Eine Odyssee zwischen Frankreich, Schweiz und Deutschland
Allein der Paris-Aufenthalt ist eine Odyssee, weil sie nach den ersten sechs Wochen das Asylheim wieder verlassen und alle zwei Tage in einem anderen Hotel unterkommen müssen. Also ziehen Sie mit Sack und Pack stetig quer durch die Stadt. Stets unter den scheelen Blicken von Bevölkerung, Hoteliers und anderen Hotelgästen in den Häusern, die sie gnadenhalber dulden. Dabei kommt es auch zu einer aufregenden U-Bahn-Szene. Doch es gibt immer wieder kleine Momente, in denen sich das Blatt zum Positiven zu wenden scheint. So entdecken Sie etwa in Paris plötzlich einen Onkel, der sie aufnimmt.
Doch solche Glücksmomente sind oft nur von kurzer Dauer. Denn schon bald müssen die Zeaiters wieder los: Es geht nach München, wo es schon kurz nach der Ankunft richtig wild wird. Der Onkel, der sie dort in Empfang nimmt, wird wegen Terrorverdachts verhaftet, und die vier Buben werden von ihrer Mutter getrennt und landen bei einer (netten) Gastfamilie. Aber nur kurz, denn auch das löst sich auf, und als die Familie wieder vereint ist, geht es weiter nach Dortmund.
Die Odyssee des Ghassan Zeaiter ist damit aber noch lange nicht zu Ende, und es ist noch ein langer Weg, bis aus dem libanesischen Flüchtlingskind der deutsche Rapper Zuna wird. Dazwischen liegen auch viereinhalb Jahre in der Schweiz, in denen Ghassan eine glückliche Spätkindheit verbringt - und auch kleinkriminell aktiv ist. Er stiehlt "Yu-Gi-Oh!"-Sammelkarten und vertickt sie, betrügt einen unsympathischen Schulkollegen und ist auch sonst kein Kind von Traurigkeit.
Die Nummer 1 der deutschen und österreichischen Charts
Stolz ist er nicht auf seine Taten. Aber er steht dazu. Weil sie zu ihm und seiner Geschichte dazugehören. Weil ihn das Leben im Libanon, auf der Flucht und in Asylwerberheimen geprägt hat. Und trotz allem hat er letztlich seinen Weg gemacht. Er hat es geschafft, in Deutschland in der Musikszene Fuß zu fassen, als Rapper sein eigenes Geld zu verdienen, eine eigene Band - die Dresdner KMN Gang - erfolgreich in die Charts zu führen.
Mit dem Titel "Super Plus" waren sie sogar im Vorjahr die Nummer 1 der deutschen und österreichischen Charts. Angesichts dessen, was ihm davor alles widerfahren ist, gönnt man Zuna diesen Erfolg umso mehr. Auch, weil er ein wunderbarer Geschichtenerzähler ist, der sein Leben ohne künstliche Übertreibung (es ist so schon aufregend genug) vor seinen Lesern ausbreitet. Er erzählt offen, ehrlich und authentisch, quasi frei Schnauze, lässt nichts aus, schmückt aber auch nichts aus. Gerade die Trockenheit seiner Erzählung macht das Buch lesenswert. Vor allem, wenn man sich vor Augen hält, dass ähnliche Schicksale gerade jetzt auch Millionen andere Kinder durchleben, die irgendwo auf der Flucht vor Not und Elend oder gar Schlimmerem sind. Insofern ist es auch ein Beitrag zur Völkerverständigung. Für einen anderen Blick auf Flüchtlinge.