Die Buchhändlerin Jeanne Hervineau ist 39 Jahre alt, als ein Tumor in ihrer Brust entdeckt wird. Er sei bösartig, aber isoliert und nicht sehr groß, sagen die Ärzte, daher gut therapierbar. Natürlich ist es ein Schock für Jeanne, die vor ein paar Jahren erst ihren damals siebenjährigen, von Geburt an behinderten Sohn verloren hat und um deren Ehe mit Matt es kaum schlechter stehen könnte.

Als sie Matt von dem Krebs erzählt, den sie fortan für sich "Kamelie" nennt, um das hässliche K-Wort zu umgehen, fürchtet Matt vor allem um ihr schönes rotes Haar und beweist auch in den Wochen danach weder Feingefühl, noch unterstützt er sie in irgendeiner Weise. Im Gegenteil: Er ist froh, als Jeanne ihm mitteilt, dass sie während der Chemotherapie woanders wohnen wird, und denkt, sie wolle ihn nicht mit ihrem Anblick belasten. Später sagt er ihr noch ins Gesicht, ihre losen Haare auf dem Sofa seien ekelhaft, und rät ihr wegen ihres veränderten Körpergeruchs, zweimal am Tag zu duschen. Alles, was man von Matt erfährt, zeichnet das Bild eines "Unsympathlers".

Vier Komplizinnen

Was Matt nicht weiß: Bei der Chemotherapie hat Jeanne Brigitte kennengelernt, die sie sogleich unter ihre Fittiche nimmt. Jeanne, die sonst keine Freundinnen zu haben scheint, zieht bei der resoluten und exzentrischen Brigitte ein. In der großen Pariser Wohnung leben sie mit Assia und Melody zusammen, kümmern sich umeinander, hecken - als sie Geld brauchen - unter Brigittes Regie den Plan für einen Überfall aus und erzählen einander ihre Lebensgeschichten.

Der vielfach ausgezeichnete französische Schriftsteller Sorj Chalandon hat mit "Wilde Freude" eine Art Gangstermärchen geschrieben. Man kann den Roman auch als Ode an das Leben, an die Emanzipation oder die Solidarität unter Frauen lesen. Wobei alles extrem auf die Spitze getrieben und daher wenig glaubwürdig ist. Aber vermutlich ist das Absicht.

Der Tod durchzieht den Roman auf eine fast heitere Weise. Alle außer Assia, Brigittes jüngerer Lebensgefährtin, sind krebskrank und in Bezug auf ihr Alter, Temperament, ihre Herkunft und Bildung extrem unterschiedlich. Jede Frau steht für ein bestimmtes Schicksal und den Umgang damit. Jede von ihnen hat ein Kind verloren und jeder wurde von Männern übel mitgespielt, so scheint es.

Dass das letztlich doch nicht ganz zutrifft, ist eine wohlgesetzte Überraschung. Glücklicherweise baut Chalandon sie am Schluss noch ein, sonst wäre das viele Unglück, das die armen, todkranken Frauen durch das grausame Schicksal und die bösen Männer erdulden müssten, doch etwas zu plakativ.

Chalandon spart auch so nicht an Pathos: "Das war kein Mitleid, sondern Solidarität. Wir kamen aus dem Gefecht. Um im Hafen festzumachen. Auf zum Rückzug!" Die verbündeten Frauen sehen sich als Kämpferinnen, als "Schwestern im Krebs". Das hat auch etwas Lustiges, Parodistisches, wie der Roman überhaupt recht unterhaltsam ist. Das liegt auch an dem wieder recht unglaubwürdigen, aber spannend erzählten Kriminalfall in der zweiten Hälfte. Nur eine Parodie worauf? Vielleicht auf die Opferrolle, in der Frauen sich häufig sehen. Und auf ihr selbstzerstörerisches Verhalten in der Liebe: "Ihn lieben hieß ihm folgen. Wäre er Briefmarkensammler gewesen, hätte sie für die Penny Black von 1840 geschwärmt."

Naive Heldin

Seltsamerweise erfährt der Leser mehr über die Vergangenheit der anderen Frauen, insbesondere der schillernden, dominanten Brigitte, als über jene der blassen Erzählerin. War Chalandon von der lange resignierten, naiven Jeanne beim Schreiben etwas gelangweilt? Man könnte es verstehen. Idealisiert er die Freundschaft unter Frauen? Jedenfalls balanciert er auf einem schmalen Grat zwischen Parodie und echtem Mitgefühl.

Sehr einfühlsam und detailliert beschreibt er die Begleiterscheinungen der Chemotherapie. Den Turban um den kahlen Kopf geschlungen, geht Jeanne hoch erhobenen Hauptes durch die Straßen. Vollgepumpt mit Medikamenten, doch selbst erstaunt über die "Wiedergeburt ihres Willens" und "die Rückkehr ihrer Kraft".

Existenzielle Krisen werfen Fragen auf wie: Wer war ich vorher? Und wer will ich sein? Jeanne war immer die disziplinierte Kluge "mit dem Roman in der Hand". Bei Brigitte ist sie "die Irre mit der Pistole in der Faust". Von jetzt an will sie beide sein.