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Ja, wo ist er denn nur? Pfarrplatz 2, Pasqualatihaus oder Biederhof? Die holprige Suche führt kreuz und quer durch Wien, mehr als 30 Seiten lang, doch Ludwig van Beethoven ist partout nicht aufzufinden. Als die Odyssee endlich zum richtigen Ort führt, dem Schwarzspanierhaus, ist es zu spät, ein reich verzierter Sarg aus Mahagoni wird gerade die Treppen heraufgetragen. Glück im Unglück: Eine echte Locke vom Toten wird für 20 Goldfranc freundlicherweise als Andenken organisiert.

Wenn ein Comic über den berühmten Komponisten, der am 26. März 1827 in Wien starb, zwei Tage nach seinem Tod beginnt und das erste Mal überhaupt dessen Antlitz auf Seite 43 zeigt, dann darf getrost von einem unkonventionellen Ansatz gesprochen werden, der nicht viel mit einer üblichen Biografie (ob nun in Bildern oder Worten) gemein hat. Der Texter Peer Meter, für den Comic über den Serienmörder Fritz Haarmann zusammen mit Isabel Kreitz mehrfach ausgezeichnet, und der Zeichner Rem Broo interessieren sich weniger für eine chronologische Darstellung von Leben und Werk, sondern mehr für die daraus resultierenden Mythen und Legenden, Skurrilitäten und Obskuritäten. Kaum von Interesse ist also für beide: Wie wurde das Genie gemacht, umso mehr dafür: Was wurde aus dem Genie gemacht?

Es entspinnt sich gewissermaßen ein Gespräch im Hause Beethoven über den abwesenden Herrn B., der zwar in seinem abgeschotteten Schlafzimmer liegt, sich aber nicht mehr wehren kann. In munter der Wahrheit nachhelfenden kurzen Erzählungen, Erklärungen und Erinnerungen geht der Comic auf die (eingangs ja schon beispielhaft geschilderte) Suche nach seinem Helden, der ihm sehr früh abhandengekommen ist, und landet thematisch in eher dunklen Nebengassen. Aufgegriffen werden so etwa seine häufigen Umzüge (knapp 80 in 35 Wiener Jahren), die Irritationen über Geburtsort und -jahr, der regelmäßige Stress mit seinem regelmäßig wechselnden Hauspersonal, die umfängliche Krankenakte.

Das zähe Ringen um Deutung und Bedeutung wird als Spektakel inszeniert: laut, schrill, derb und wenn nötig unter Androhung von Watschen. Jeder ist mit jedem im (Wett-)Streit, Verehrer ("Heiliger") und Verächter ("Teifli"), Bonner und Wiener (über die Rolle der eigenen Stadt und den Ort der Grabstätte), Sängerinnen (uneins darüber, wer Beethoven nach einem Konzert zum Publikum gedreht hat) und normale Bürger (im Disput über seine vermeintlichen letzten Worte) jeweils untereinander.

Allein die direkten Profiteure wie Totengräber und Sektionsdiener sind sich einig bei ihrem makabren Geschäft. Als alle Locken Beethovens abgeschnitten und verhökert sind, bekommt der kahle Kopf einfach eine Mozart-Perücke übergestülpt, doch der Sarg wird erst fest verschlossen für die Beerdigung, nachdem der Schädel abgesägt und ausgetauscht ist (auf den Ersatz wurde bei seinem Lehrer Joseph Haydn noch verzichtet).

Der Comic hält sich an historische Ereignisse, erfindet aber ein paar historische Figuren, die als kantige Typen mit klobigen Nasen teilweise wie Karikaturen wirken. Eine satirische Überzeichnung vieler Szenen kann nicht bestritten werden. Der Strich ist kräftig, die Farben sind satt. Für die unterschiedlichen Rückblicke wechseln Stil und Kolorierung: So ist im Krankenbett, von Anfällen geschüttelt ("Aaahhh!!! Uuurrrggg!!!"), eine desolate, dem Tode geweihte Kreatur mit gigantisch aufgeblähtem Bauch in grob skizzierten, düster aquarellierten Panels zu sehen. Kurz zuvor wird ein manischer Irrer auf grellen Seiten gezeigt, dessen "narrisches Geklimper" für Unfrieden sorgt.

Peer Meter und Rem Broo erzählen ihre ungewöhnliche Lebensgeschichte Beethovens vom Ende her und nehmen sich viele Freiheiten. Mit kreativem Eifer und rustikalem Witz porträtieren sie den genialen, strahlenden Komponisten als traurigen, gescheiterten Menschen und fragen kokett mit Thomas Bernhard: "Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?" Was kümmert’s den Straßenhändler, der sein Geschäft mit echten Beethoven-Locken macht. Alles hat schließlich seinen Preis.