In der bildenden Kunst haben sich politische Themen in den vergangenen Jahren einen Fixplatz ergattert, wie etwa die Werke von Ai Weiwei bezeugen - explizit politische Romane tauchen bisher nur vereinzelt auf. Der Erstling "Identitti" der deutschen Kulturwissenschafterin Mithu Sanyal ist so ein rarer Fall. Auf den über 400 Seiten des Buches wird die postkoloniale Kernfrage abgehandelt, wie sehr Hautfarbe und Herkunft unser Leben prägen.

Die Hypothese: "Identität bestimmt nicht die Dinge, die wir tun, sehr wohl aber die Dinge, die andere Menschen uns antun." Und es wird vor allem die Frage verhandelt, ob es legitim ist, dass sich eine weiße Deutsche als farbige Deutsche ausgibt. Verschärft wird dieses akademische Problem dadurch, dass es sich bei der fraglichen Romanfigur um die führende Intellektuelle der postkolonialen Studien in Deutschland handelt, die sich nach der indischen Göttin der Weisheit Saraswati nennt, aber im bürgerlichen Leben Sarah Vera Thielmann heißt.

- © Carl Hanser Verlag
© Carl Hanser Verlag

Während die Community nach dem Outing der Düsseldorfer Professorin als Weiße einen Shitstorm über die Frau ergießt, versucht ihre Studentin Nivedita, die sich als Bloggerin Identitti nennt, herauszufinden, was ihr Idol Saraswati dazu getrieben hat, sich als falsche Inderin auszugeben und zu einer Wortführerin der deutschen "People of Color"-Bewegung aufzuschwingen.

So verheißungsvoll dieser Plot über moderne Identitätsverwicklungen in seinen Grundzügen klingt, so zäh ist die literarische Umsetzung im Buch. Das liegt einerseits an den theorielastigen Dialogen, mit denen der Fall Saraswati abgehandelt wird, und viel mehr noch an den klischeehaften Figuren, die im Lauf der Geschichte nicht elementar an Tiefe gewinnen.

Da ist die verwirrte deutsche Halb-Inderin Nivedita, die an der Trennung von ihrem Freund laboriert und unentwegt mit der Göttin Kali Zwiesprache hält; da ist die selbstbewusste englische Halb-Inderin Priti, die den Fall ins Rollen bringt; da ist weiters die trotzige deutsche Halb-Afrikanerin Oluchi, die Saraswati canceln möchte; und da ist schließlich die pseudoindische lesbische Star-Professorin, die sich alles wortreich zurechtbiegen kann. Kurz: Wer mit identitätspolitischen Spitzfindigkeiten gerne seine Stunden verbringt, für den könnte "Identitti" unterhaltsam sein; alle anderen werden das Buch irgendwann gelangweilt zur Seite legen.

Wie in der Kunst ist auch in der Literatur kaum etwas zermürbender als ideologische Diskurse, die oberflächlich mit einem ästhetisierenden Anstrich versehen werden. In "Identitti" besteht diese Lasur aus einer flapsigen Ich-Erzählung, wie sie seit den 1990ern als typisch für den deutschen Pop-Roman gelten kann, angereichert um Blogtext-Einschübe Niveditas und Zitaten vom digitalen Twitter-Pranger, wo Saraswatis Fall in kurzen, polemischen Textnachrichten verhandelt wird.

"Identitti" ist in diesem Sinn weniger ein Roman als ein als Literatur deklariertes, fiktives Proseminar über die Theorien und Probleme der postkolonialen Studien in Deutschland und im Rest der Welt, denn die im Roman abgehandelten Auseinandersetzungen folgen allesamt realen Vorbildern. Für Außenstehende ist "Identitti" schlicht lähmend, so als würde man sich an der Uni in eine falsche (Be-)Lehrveranstaltung verirren. Da hilft auch der Kommentarteil am Ende nichts, wo die wichtigsten Argumente der postkolonialen Rassismusdiskurse ihren realen "Urheber*innen" zugeordnet werden.