"Wiener Zeitung": Passend zu Ostern ist Ihre gereimte Bibel erschienen. Ich nehme an, das war kein spontanes Lockdown-Projekt, auch wenn es genau in diesem Zeitraum entstanden ist.
Thomas Brezina: Ja, da steckt viel mehr dahinter. Es war vorher schon geplant. Aber ich glaube ehrlich, ohne Corona hätte ich es nicht in der Zeit geschafft. Aber ohne Theater, Kino, Restaurantbesuche und so weiter habe ich so viel Zeit dazugewonnen, die da hineingeflossen ist.

Sind es nur Reime für Kleine oder ist es auch eine Dichtung für Große?
Es ist eine Bibel für alle. Ich habe ganz bewusst sehr einfache Reime genommen, wobei ich variiert habe. Ich habe es ein bisschen geschrieben, wie man Songtexte schreibt. Es ist nicht ein szenisches Gedicht, sondern es sind im Rhythmus immer wieder eine Art Refrains und Strophen dazwischen. Es ist eine Variation drinnen, weil ich wollte, dass man, wenn man verschiedene Sachen hintereinander liest, plötzlich kurz Luft holen und sich beim nächsten Abschnitt in einen neuen Rhythmus reinfinden muss. Da finde ich gut, weil auch die Geschichten sehr unterschiedlich sind. Ich kann nicht alles zum Beispiel im Hexameter schreiben, und das ist auch nicht mein Ziel. Mein Ziel ist, etwas in Reimen zu erzählen, das die ganze Familie lesen, und jedem wird es gefallen, auch Erwachsenen. Es hat zuerst "Kinderbibel in Reimen" geheißen, aber dann waren die Reaktionen auf die Kapitel, die ich verschiedensten Leuten zum Lesen gegeben hatte, waren durchwegs auch von Erwachsenen: "Das ist hochinteressant, so habe ich das eigentlich nie gesehen, da möchte ich mehr darüber lesen." Und so ist es mir auch in der Entstehung gegangen. Mich hat die Bibel sehr interessiert, ich kenne sie aus meiner Kindheit und habe mein Leben lang immer wieder damit Berührungen gehabt. Ich habe dann gesagt, ich möchte eine Neuerzählung in Reimen bringen, um möglichst viele Menschen anzusprechen – und um auf das Wesentliche zu kommen. Weil das, was mich vor allem bei Kinderbibeln ein bisschen gestört hat, waren die vielen Formelsätze, so standardisierte Sätze, die mich nicht berührt haben. Ich wollte etwas schreiben, das berührt.
Sie haben sich auch Unterstützung von zahlreichen Fachleuten geholt. Wie stark haben sie Sie beeinflusst?
Ich bin relativ früh zu Dompfarrer Toni Faber gegangen und habe ihn um fachkundige Hilfe gebeten. Der hat mir sofort vom erzbischöflichen Amt für Bildung ein Team zusammenstellen lassen. Mit dem ich nicht nur besprochen habe, was rein soll, sondern ich habe mich auch sehr intensiv mit den Bibelgeschichten auseinandergesetzt und bin auf so viele Fragen gestoßen. Und ich hatte auch immer von Eltern gehört, dass die Kinder, wenn sie ihnen die Bibel vorlesen, Fragen stellen, die sie nicht beantworten können, weil sie es selber nicht wissen. Da habe ich volles Verständnis für sie. Und dann bin ich mit diesen Fachleuten gesessen und habe denen dann auch Fragen gestellt zu Dingen, die mir aufgefallen sind. Und die haben mir diese Fragen mit einer ganz großen Leidenschaft für diesen Inhalt beantwortet und haben aber auch gesagt, der Zugang, den ich wähle, ist für sie auch sehr ungewohnt. Ich habe inhaltlich nichts dazuerfunden. Aber ich habe manches so erzählt, dass es vielleicht stärker rüberkommt. Das Wichtige war mir, Experten zu haben, die den ganzen Entstehungsprozess begleitet haben und auch bei gewissen Sachen sehr streng gesagt haben: "Das kann man so nicht ausdrücken." Und die bei anderen wiederum gesagt haben: "Wir staunen, wie du das ausdrückst. Wir wären auf diese Idee nicht gekommen. Aber es ist wirklich, wirklich gut." Das war ein spannender Prozess, der war für mich auch sehr wichtig. Ich habe auch immer wieder sehr viel recherchiert, weil ich Dinge wirklich begreifen wollte, sie fassbar machen. Das Projekt sollte ursprünglich 100 Seiten haben – jetzt hat es 360 Seiten. Weil ich dann auch gesagt habe: Wenn ich eine Bibel schreibe, dann will ich einen Bogen spannen, der wirklich einen Einblick gibt. Es hat mich sehr gefordert, es hat mich an die Grenzen geführt.
Wie hat der Verlag reagiert, als es immer mehr Seiten wurden?
Die haben nur gesagt: Bitte schreib, schreib so viel du willst.
Auffällig ist: Es kommt sehr viel Liebe vor, aber sehr wenig Kampf und Gewalt, vor allem im Alten Testament, das bei Ihnen "Erstes Testament" heißt. Da haben Sie viel weggelassen.
Wie mir eben andere Themen wichtig waren: Liebe, Akzeptanz, Solidarität, Barmherzigkeit – ein Überbegriff, der heute kaum benutzt wird, und auch ich tu mir schwer damit, ihn zu benutzen, obwohl er unglaublich großartig ist, weil er das Wort Herz drinnen hat –, Trost, Beruhigung, Glaube an das Entstehen und daran, dass es weitergeht, Wertschätzung von allem, was entsteht – das waren für mich die großen Themen. Ich musste auch einiges weglassen. Und dann gibt es noch etwas: Alles, was ich nicht erklären konnte in der Symbolik, habe ich nicht genommen. Oder Dinge, bei denen ich mir gedacht habe: "Nein, das will ich Kindern gar nicht erklären."
Welches Kapitel ist Ihnen persönlich am nähesten?
Jesus geht über das Wasser. Und zwar deswegen, weil es für mich das schönste Gleichnis zum Thema Glauben ist. Das Jesus über das Wasser geht, ist eine Sache – aber dass er Petrus die Möglichkeit dazu gibt, und er sagt: "Komm!", und er geht auf ihn zu, und in der Mitte des Weges sagt Petrus: "Nein, das ist unmöglich, das kann es nicht geben, das kann nicht sein!" und in dem Moment versinkt er. Und Jesus zieht ihn heraus und nimmt ihn zum Boot mit, wo alle über das Wunder jubeln, aber Jesus sagt nein, darum geht es nicht. Den Glauben behalten kann nur jeder selbst. Und da meine ich nicht nur den Glauben an Gott, sondern den Glauben an alles: an das Können, an die Möglichkeit, an das was da ist, was zu schaffen ist. Und ich finde das ein wunderwunderschönes Gleichnis, weil jedem von uns ergeht es so. Aber wir dürfen nicht erwarten, dass jemand anderer kommt und uns zum Glauben verhilft, dafür müssen wir schon selbst sorgen. Das finde ich gut.

Illustriert hat die Bibel der Argentinier Pablo Tambuscio. Dabei hätten Sie auch einen Maler daheim . . .
Wir trennen Privat und Beruf sehr. Ivo ist auch kein Illustrator, er malt. Und mit Pablo verbindet mich eine sehr lange gemeinsame Zusammenarbeit.
Er hat ja auch schon Tom Turbo gezeichnet.
Ja. Und an der Bibel sieht man auch, wie unterschiedlich seine Stile sind. Er war sofort begeistert von dem Projekt. Auch für ihn war es sehr herausfordernd. Sein Zugang ist ein sehr dramatischer, er ist ein bildlicher Geschichtenerzähler – er hat auch unterschiedliche Stile eingesetzt. Bei der Passion hat er zum Beispiel nicht grausame Details gezeichnet, sondern das große Panorama. Weil es innerlich viel bewegender ist, etwas in der Ferne zu sehen und dann die Emotion dazu zu haben, als wenn du so direkt davor stehst.
Just kurz vor dem Erscheinen Ihrer Bibel hat der Vatikan mit seiner Verweigerung von Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare einen Shitstorm ausgelöst. Wie geht es Ihnen damit?
Zunächst einmal: Ich gehöre keiner Kirche an – was aber nicht heißt, dass ich mich nicht kirchenverbunden fühle. Aber ich bin mit 22 Jahren ausgetreten, weil ich mich nicht als Sünder bezeichnen lassen wollte. Und jetzt gibt es eine andere Situation: Es gibt eine katholische Kirche, und es gibt verschiedene Vertreter dieser Kirche, wie Bischöfe in Österreich, wie einen Pfarrer Toni Faber, die das völlig anders sehen und das auch sagen, so leben und danach handeln. Dort fühle ich mich sehr aufgehoben, das verbindet mich mit ihnen. Die Aussage der Glaubenskongregation habe ich mehr als unglücklich gefunden. Ja, es ist kränkend. Vor allem wurde dann noch nachgeschoben, dass es Sünde sei und so weiter. Sünde ist, wenn ich mit voller Absicht Schlechtes tue, andere schädige, bestehle, betrüge. Na, wo schade ich jemandem? Das ist doch lächerlich! Es geht um Liebe! Was ist Gott? Gott ist Liebe. Das steht doch überall. Deswegen habe ich auch meine Bibel geschrieben. Weil es die Grundlage ist. Ich würde sogar sagen: Es ist der Überbau. Und das ist so wichtig. Mich haben ja viele auf Instagram angeflogen: "Wie kannst du das machen?! Eine Kirche, die dich verurteilt . . ." Aber ich habe es nicht für eine Kirche geschrieben. Ich habe hier die Grundlage einer tiefen Weisheit, Geschichten, die es seit tausenden Jahren gibt – es ist nicht ohne Grund das einzige Buch der Welt, das seit zweitausend Jahren nicht vergriffen ist –, nacherzählt auf eine Art, von der ich hoffe, dass ich Menschen damit berühren kann. Das Wunderbare bei der ganzen Sache war, dass mich einer der kirchlichen Berater sofort angerufen und gesagt hat: "Thomas, bitte sei versichert: Gott liebt dich!" Da habe ich geantwortet: "Ich habe keinen Zweifel daran, wirklich nicht." Mich hat aber etwas anderes erschüttert: In Vorarlberg haben Pfarrer als Reaktion Regenbogenfahnen aufgehängt – und die sind dann angezündet worden. Diese Kettenreaktion fand ich erschüttern. Deshalb muss ich sagen: So etwas ist vom Vatikan nicht nur kontraproduktiv, nicht nur kränkend, sondern das kann eben, wie man sieht, auch zu einer sinnlosen Aggression führen, die keiner braucht.
Hat sich trotzdem insgesamt gesellschaftlich etwas verändert gegenüber dem Beginn Ihrer Karriere vor 30 Jahren, abseits von Genderdebatten und LGBTQ-Aktionismus?
Na und wie! Und jetzt wird es lauter und deutlich sichtbarer.
Hätte es Ihrer Karriere als Kinderbuchautor geschadet, wenn Ihre Homosexualität damals schon bekannt gewesen wäre?
Ich glaube, es war den Menschen damals relativ egal. Ich habe in dieser Zeit nie etwas über mein Privatleben erzählt. Ich wollte mich nie mit einer Herzeigefreundin zeigen oder irgendetwas vorgeben, was nicht stimmt. Das war mein Grundsatz, und ich glaube, das ist von allen Seiten geschätzt worden. Und das schon damals Leute darüber gemunkelt haben – ja, sollen sie. Das aufzubauschen in irgendeiner Form, das hätte vielleicht manchen ein bisschen gefallen, aber dem bin ich ausgewichen, indem ich prinzipiell keine Fragen darüber beantwortet und auch nichts vorgetäuscht habe. Es war aber schon mein großes Erstaunen in den vergangenen fünf Jahren positivster Art, dass es in der Breite so vielen Leuten im positivsten Sinne gleichgültig ist.


