Franz Joseph, also der Erste, der Kaiser, hat von moderner Technik nichts gehalten. Aber den elektrischen Zigarrenanzünder, den ihm der russische Zar, der Nikolaus II., geschenkt hat, den hat er doch verwendet. Das kann man in dem eben erschienenen Buch "Die Habsburger: Aufstieg und Fall einer Weltmacht" des britischen Historikers Martyn Rady lesen.
Kleines Quiz für Habsburger-Fans:
- Maria Theresia verbot per Erlass, dass Wahrsager die Gewinnzahlen von Lotterien vorhersagen.
- Kaiser Joseph II. ordnete per Dekret an, dass Theaterstücke keine traurigen Schlüsse haben dürfen. Dank des "Wiener Schlusses" durfte William Shakespeares Romeo seine Julia heiraten.
- Um 1870 lichtete sich Kaiser Franz Josephs Haar und sein Bart zeigte erste graue Stellen.
Nun die Quizfrage: Welche zwei Feststellungen stammen aus Radys Habsburger-Buch und welche aus dem Büchlein "Unnützes Habsburger-Wissen", das im Holzbaum-Verlag erschienen ist?
Auflösung folgt später, eine Spur Spannung muss sein.
Rady ist keine Einzelerscheinung. Der deutsche Historiker Michael Sommer erzählt die "Römische Geschichte: Von den Anfängen bis zum Untergang" auf 912 Seiten. Am Schluss fragt man sich nur, wie viel Fischlake Nero wohl über seine in Honig sautierten Pfauenzungen gegossen hat.
Inger Merete Hobbelstad schreibt 700 Seiten über "The Queen", womit naturgemäß die zweite Elizabeth gemeint ist, während der deutsche Journalist und England-Spezialist Thomas Kielinger in seiner Biografie der ersten Elizabeth mit 375 Seiten auskommt. Na bitte - geht doch.
Bis auf die
Unterhose ausgezogen
Die Flut an dickleibigen historischen Wälzern ist unerträglich. Wie es auch unerträglich ist, in welchem Umfang deutschsprachige Historiker die angloamerikanische Unart nachmachen, die Protagonisten ihrer Bücher quasi bis auf die Unterhose auszuziehen, ehe sie auch diese noch von den Lenden streifen.
Humphrey Carpenters Biografie des Komponisten Benjamin Britten, 1992 erschienen, ist ein Paradebeispiel: Carpenter war ein professioneller Biografien-Autor. Das gibt es im anglo-amerikanischen Raum: Autoren, denen der Hintergrund des Biografierten gleichgültig ist, es geht nur um ein akribisches Nacherzählen des Lebens. Und so schrieb Carpenter auf 744 Seiten weit ausführlicher über Brittens Pädophilie als über seine Kompositionstechnik. Wäre Britten nicht Komponist gewesen, sondern der Erfinder einer Fish-n-Chips-Schnellbackanlage, würde sich die Biografie unwesentlich anders lesen.
Dennoch: Was solls?
Diese Biografien und historischen Sachbücher mit 700 bis 1.000 Seiten und mitunter mehr sind das literarische Äquivalent zu den sogenannten Dokus im Fernsehen, die mit immer mehr immer längeren Spielszenen überladen sind.
Früher musste man nur das Wort "Dokumentation" aussprechen, um seine Umgebung in einen angenehm schläfrigen Zustand zu versetzen, wie er sonst von einem dritten Glas Rotwein erzeugt wird. In diesen alten Dokumentationen kommentierte eine tiefölige Männerstimme zu ernster Musik in Richard-Wagner-Nachfolge Quasi-Rundgänge durch Museen.
Heute kämpfen Gladiatoren, fliegt ein schwertmäßig abgetrennter Kopf durch die Gegend und beschießen einander, dank digitaler Special Effects, ganze Flotten in Seeschlachten. Die Regisseure der 40er- und 50er-Jahre-Piratenfilme würde der Neid fressen: Die Grenze zwischen Doku und Spielfilm ist durchlässig geworden, und auch die zwischen historischem Roman und historischem Sachbuch scheint zunehmend aufgeweicht.
Unfair wäre es, positive Effekte zu leugnen: So, wie die modernen Dokus dem Samstagabend-Normkrimi in Sachen Spannung den Rang ablaufen und vielleicht über die Hintertür des Blutzolls für ein Thema interessieren, so kann man, will man etwas Historisches schmökern, mittlerweile getrost zum Sachbuch greifen und diese unnötigen historischen Romane umgehen. Ist ja ohnedies alles im Erzähltonfall geschrieben. Sachbücher wie Radys Habsburger oder Sommers Römer unterscheiden sich von historischen Romanen nur noch dadurch, dass die Romane Dialoge beinhalten auf einem Niveau von: ",Brutus, was soll der Dolch in deiner Hand, fauchte Caesar erbost. ,Verzeih mir, Caesar, für Rom muss es sein, stammelte mit würgender Stimme Brutus. Und stieß tränenerstickt zu."
Doch das Sachbuch mit der knappen, präzisen Information geht dabei nahezu verloren. Ganz im Ernst: Es gibt kein Leben und keine historische Epoche, die sich nicht auf 400 Seiten darstellen lässt. Und, ja: Ausnahmen bestätigen die Regel. Naturgemäß will der Autor zeigen, was alles er in Stunden und Stunden in Bibliotheken herausgefunden hat. Dennoch würden auch Sachbuchschreiber gut daran tun, sich auf das darauf zu besinnen, was ihr Anliegen der Mitteilung ist. In Romanen sorgen zwar die Details für das Kopfkino, in Sachbüchern aber macht das unnütze Wissen Buchweh, wenn die Idipferlreiterei über die Seiten galoppiert. Das macht allenfalls in speziellen Büchern Spaß. Zum Beispiel im "Unnützen Habsburger-Wissen", aus dem die Information über Kaiser Josephs "Wiener Schlüsse" stammt.
Ist das nun unnützes Wissen? Oder spricht es Bände? Ausnahmsweise vielleicht sogar 1.000-seitige.