Was ist der Unterschied zwischen einem Bilderbuch mit Text, einem Comic und einer Graphic Novel? Bevor nun die Experten zu streiten beginnen und die Leser mit den verschiedensten Begriffsdefinitionen verwirren: Im Grunde ist es völlig egal, solange das jeweilige Buch seine Leser gut unterhält. Das ist das Ziel von Loewe Graphix, der neuen bildlastigen Schiene des Loewe Verlags, der teilweise ganz neue Geschichten erzählt und teilweise alte Bekannte neu verpackt.

Ein cholerischer Schimpanse

Beginnen wir bei den Kleinsten: Für die gibt es den bereits allseits beliebten Schimpansen Jim, mit dem Suzanne und Max Lang schon in mehreren Bilderbüchern ihre jungen Leser und Sich-vorlesen-Lasser unterhalten hat. Der ziemlich cholerische Primat, der vielen irgendwie aus der Seele spricht, erlebt nun in "Kein Stress, Jim!" neue Abenteuer, die jedes für sich gelesen werden können, aber auch ein großes ganzes bilden.

- © Aus: Suzanne & Max Lang: "Kein Stress, Jim!"
© Aus: Suzanne & Max Lang: "Kein Stress, Jim!"

Und wie gewohnt geht es darum, wie man mit seinen Gefühlen umgeht - und um Freundschaft. Klar, Jim muss sich auch diesmal nicht nur einmal ordentlich ärgern und verzweifelt schier am Leben. Aber letztlich wird ihm klar, dass die Tiere, die ihm auf die Nerven gehen, dieselben sind, auf die er sich verlassen kann, wenn es darauf ankommt. Und statt eines pädagogisch erhobenen Zeigefingers gibt es brillante Gags in herrlich gezeichneten Bildern, die auch den erwachsenen Vor- und Mitlesern Spaß machen.

Suzanne & Max Lang: Kein Stress, Jim!
Loewe Graphix; 80 Seiten; ab 4 Jahren; 10,30 Euro

Wiedersehen mit dem magischen Baumhaus

Zwei weitere alte Bekannte sind Philipp und Anne, die ganz zurück an den Anfang reisen. Denn Loewe Graphix startet mit Band eins von Mary Pope Osbornes  Kultserie "Das magische Baumhaus", der die beiden Kinder aus Pepper Hill ins Tal der Dinosaurier führt. Hier könnte man schon mehr von einer Graphic Novel als von einem Comic sprechen, wenn man sich denn auf diese Debatte einlassen möchte.

- © Aus: Mary Pope Osbourne: "Das magische Baumhaus - Im Tal der Dinosaurier"
© Aus: Mary Pope Osbourne: "Das magische Baumhaus - Im Tal der Dinosaurier"

Sollte man aber gar nicht, sondern sich lieber in den klaren und etwas kantigen Bildern von Kelly & Nichole Matthews verlieren, die mit sehr wenig Text in den Sprechblasen (von Jenny Laird) auskommen. Wer die Serie im Original als Erzählband kennt, erlebt sie hier von einer ganz neuen Seite. Die Intention ist freilich eindeutig: Hier sollen einerseits Erstleser und andererseits Lesefaule abgeholt werden - die 176 Seiten hat man im Nu durch. Und vielleicht motiviert sie das Leseerlebnis dann, in der ursprünglichen Serie weiterzulesen, die es in mehr als 20 Jahren auf inzwischen fast 60 Bände gebracht hat. Da liegt also noch viel Arbeit vor den Zeichnern von Loewe Graphix.

Mary Pope Osborne, Jenny Laird, Kelly & Nichole Matthews: Das magische Baumhaus - Im Tal der Dinosaurier
Loewe Graphix; 176 Seiten; ab 7 Jahren; 12,40 Euro

Nicht für andere verbiegen

Wiederum ein bisschen älter ist die Zielgruppe von Maria Scrivans "nICHt genug". Darin verliert ein junges Mädchen namens Natalie seine beste Freundin Lily an eine andere (oder zumindest glaubt sie es), weil sie nicht cool genug ist - um draufzukommen, dass man erstens neue Freunde finden kann, wenn man es zulässt, und zweitens sich nicht für andere verbiegen sollte. Und dass man drittens auch einen Blick hinter die Fassade werfen sollte.

- © Aus: Maria Scrivan: "nICHt genug"
© Aus: Maria Scrivan: "nICHt genug"

Denn am Ende stellt sich heraus, dass Natalie nicht nur genau richtig ist, wie sie ist, dass eine echte Freundschaft viel wertvoller ist als Coolness - und dass Miss Obercool, die ihr Lily abspenstig gemacht hat (oder zumindest glaubt Natalie das), in Wahrheit auch ganz nett sein kann, wenn man sie lässt. Und auch Lily wird eines Besseren belehrt. Es ist ein Mutmachbuch für alle, die sich unsicher fühlen im Umgang mit anderen.

Maria Scrivan: nICHt genug
Loewe Graphix; 240 Seiten; ab 8 Jahren; 15,50 Euro

Tagebuch einer Introvertierten

Und damit wären wir schon bei den Fast-Erwachsenen angelangt. Denn auch im Jugendbuchbereich hat Loewe nun Graphic Novels im Programm, konkret Debbie Tungs "Quiet Girl". Es ist das Tagebuch eines introvertierten Mädchens, das sich am wohlsten daheim auf der Couch mit einem Buch und einer Tasse Tee fühlt - das sich aber aus (unbegründeter) Angst vor sozialer Ausgrenzung nicht traut, nein zu sagen, wenn es auf eine Party eingeladen wird, und dann bei nächster Gelegenheit nicht nur aus Gesprächen flüchtet, sondern auch gleich von der ganzen Party. Um dann daheim mit der eigenen Feigheit zu hadern.

- © Aus: Debbie Tung: "Quiet Girl"
© Aus: Debbie Tung: "Quiet Girl"

Trotzdem hat sie es geschafft, mit ihrem extrovertierten Partner zusammenzukommen - beziehungsweise hat er es geschafft, sie nicht zu verschüchtern und zu vergraulen. Er nimmt sie jedenfalls so an, wie sie ist und lässt ihr die Freiräume, die sie braucht. Der Stil der Schwarz-Weiß-Strichzeichnungen passt perfekt zum Thema der jungen Frau, die sich allzu oft am liebsten in Luft auflösen möchte (und es einmal auch zumindest im Bild tut). Ob das "Quiet Girl" am Ende doch noch ein bisschen lauter wird? Das wird hier nicht verraten.

Debbie Tung: Quiet Girl - Geschichten einer Introvertierten
Loewe Graphix; 184 Seiten; ab 14 Jahren; 15,50 Euro

Schwule in der Schule

Gar nicht introvertiert ist hingegen Charlie. Obwohl, schüchtern ist er schon ein bisschen, aber seit seinem Outing als Schwuler hat er zuerst Mobbing erlitten und sich dann seinen Platz im gesellschaftlichen Gefüge seiner Schule erkämpft und ist nun allseits beliebt. Vor allem bei Ben, der sich allerdings nur zu heimlichen Stelldicheins mit Charlie trifft. Doch dann verändert eine Begegnung mit Nick alles - ein echter "Heartstopper". Dabei ist Nick, der Star der Rugbymannschaft, ein waschechter Hetero und Mädchenschwarm, wie er im Buche steht. Verrennt sich Charlie da also in etwas?

- © Aus: Alice Oseman: "Heartstopper"
© Aus: Alice Oseman: "Heartstopper"

Tja, wo die Liebe hinfällt, das kann man sich nicht aussuchen, und so gibt es nicht nur einen Herzstopp, sondern auch viel Herzschmerz, während Charlie und Nick einander - zunächst einmal rein platonisch - immer näher kommen. Und während auch Nick die Nähe von Charlie sucht und hinter seinem Rücken bereits getuschelt wird, muss er sich mit seinen eigenen Gefühlen auseinandersetzen. Das Ergebnis wird noch auf sich warten lassen, denn es gibt am Ende einen Cliffhanger zu Band zwei, der erst im Entstehen ist. Warten muss man übrigens auch auf die Realverfilmung, die für Netflix in Planung ist. Autorin Alice Oseman schreibt auch dafür das Drehbuch. 

Alice Oseman: Heartstopper - Boy trifft Boy (Volume 1)
Loewe Graphix; 288 Seiten; ab 12 Jahren; 15,50 Euro