Es gibt ein Wort in diesem Roman, das wie ein Kontrapunkt zu Sonne, Moos, Tannen und Teichen klingt: Pferdebremsen. Wenn dieses Waldviertelwort in einem Waldviertelroman vorkommt, kann man dem Autor zubilligen, dass er weiß, wovon er schreibt. Das Stechinsekt hat jedem, der je einen Sommer auf der nordisch anmutenden Granitplatte im Norden Österreichs verbracht hat, einen Stich gegen allzu arglose Naturverbundenheit versetzt. Es schwirrt auch kurz, wie zur Beglaubigung der Authentizität, durch den Roman "Horak am Ende Welt" von Jan Kossdorff.
Es sticht den Protagonisten, also Horak, aber vor allem in der Herzgegend. Am Ende einer Lesereise gerät der geachtete Romancier im Waldviertel in eine multidimensionale Mehrfachkrise und in der Folge heftig in Kontakt mit waldviertlerischen Schlüsselszenen seiner Kindheit und Jugend. Das beginnt mit Erinnerungen wie die an den ersten Geschlechtsverkehr, "die aufregendsten fünf Sekunden seines Lebens", und wächst sich zu einer Suche nach der verlorenen Zeit aus: "Es kommt dir vor, du warst nur kurz Zigaretten holen und bist mit grauen Haaren zurückgekommen."

Und dann auch noch das: Horaks neuer Roman findet keinen Verlag. Sein Abstieg von einem "Posterboy der Milleniums-Melancholie" zu einem Schreiberling mit Hang zur "Altherren-Verschwitztheit", wie es in einem Ablehnungsschreiben aus der Verlagsbranche heißt, macht ihm zu schaffen. Auch privat hat er schon besser gelebt: Seine Ex-Frau hat eine neue Liebe vorzuweisen, er selbst nur eine Beziehungskrise.
Die Ausgangslage in diesem Roman ist gekonnt hoffnungslos, aber naturgemäß nicht ernst. Jan Kossdorff schickt seinen Horak mit einem reichlichen Vorrat an (Selbst-)Ironie auf eine Radreise und stattet ihn mit einer gelassen-hedonistischen Lebensphilosophie aus. Eine ausdrückliche Freundlichkeit gegenüber der Leichtigkeit allen Seins macht diesen Roman angesichts der aktuell wuchernden Verbissenheit, der grassierenden Schamlosigkeit und des überschweren Ernstes in allen Lebenslagen zu einer erholsamen Lektüre.
Die Radreise ans Ende einer Welt ist eines dieser schwerelosen, über solider Gescheitheit und guten Bildungsfundamenten schwebenden Kunststücke, welche die Literaturkritik wegen ihrer unverbindlich verspielten Art manchmal nicht vollends begeistert, den Leser aber schon.
Gewiss, es gibt Seitenhiebe, so auf den Literaturbetrieb: Schreibseminare werden aus Geldnot geboren, Landaufenthalte verordnet man sich wegen der Förderungen. Doch keine Klimakrise streift das Waldviertel, das sich langsam in ein Kahlviertel verwandelt, wenn man das aktuelle Fichtensterben bedenkt. Es fehlen auch die Staatsverweigerer und Landnazis, die etwa durch Juli Zehs letzten Roman "Über Menschen" geistern. Dafür gibt es beherzte Innenschau, Woody-Allen-hafte Situationskomik und das sensibel austarierte Gedankenlesen eines auktorialen Erzählers, der seinen Figuren verschwenderisch Sprachwitz in den Bewusstseinsstrom mischt: "Wir changierten ganz gut zwischen Tiefgründigkeit und Albernheit." Das Verdikt passt auch ganz gut auf Kossdorffs Roman.