Das schmale Buch gleicht einer Wunderkammer, in der man hin und her läuft, um unterschiedliche Exponate zu bestaunen. Mary Ruefle versammelt darin Notate, oft nur einen Absatz lang, kleine Geschichten und Kürzestprosa über die Schönheit und Vergeblichkeit des Seins. Der längste Eintrag umfasst gerade einmal 16 Seiten. Ein Mini-Essay, der den Titel des Buches trägt: "Mein Privatbesitz".

Darin beschäftigt sich die Autorin ausgiebig mit Schrumpfköpfen, jenen fremden wie faszinierenden Präparaten aus der eingeschrumpften Kopfhaut eines Toten: Man erfährt, wie lange es dauert, einen Menschenkopf zu schrumpfen, was man dabei beachten sollte und vieles mehr. Sie schlägt frohgemut vor, das Kopfschrumpfen in unsere Begräbnisriten zu integrieren. Der Vorschlag scheint makaber, ist aber Ausdruck einer tief empfundenen Verbundenheit mit der Welt.

Der Schriftsteller und Büchner-Preisträger Clemens J. Setz spricht im Zusammenhang mit Ruefles Werk vom "nie abreißenden Staunen über die Schöpfung". Dieses Staunen zieht sich durch das ganze Buch der US-amerikanischen Autorin, die hierzulande noch immer als Geheimtipp gilt. Man kann nur hoffen, dass sich das nach diesem Band ändert. Ihre Themen und Zugriffe und ihre persönlichen Schlussfolgerungen erweisen sich nämlich als extrem eigen und versponnen und trotzdem ungemein lebenszugewandt.

Mit pragmatischem Zungenschlag und trockenem Witz rückt Ruefle den Kümmernissen des Lebens auf den Leib. Übersetzt hat das Buch die preisgekrönte Schriftstellerin Esther Kinsky. Sie rettet Ruefles melancholischen Beat und ihren aufgekratzten "Ich erklär’ dir die Welt, Schätzchen"-Ton in ein strahlend helles Deutsch.

In "Mein Privatbesitz" geht es um dies und um das und um alles. Die Themen Alter und Tod grundieren das Buch. Wandel und Veränderung treiben die Autorin um. Sie ist Jahrgang 1952 und weiß, wovon sie schreibt, wenn sie sich etwa den sogenannten Wechseljahren widmet. Ihr mit "Pause" überschriebener Text zum Thema ist zum Niederknien und zum Totlachen und bringt die ganze Sache auch bestens auf den Punkt.

Die Autorin spricht ihre Leserschaft direkt an, stellt eine Art Leidensgemeinschaft her, der sie den folgenden Satz um die Ohren schlägt wie ein nasses Handtuch: "Du fühlst dich, als wäre dein Leben vorbei und damit hast du völlig recht: Es ist vorbei." Mal achselzuckend, mal aufgebracht, mal amüsiert berichtet sie von ihren eigenen Erfahrungen und ihrem Gefühl plötzlicher Nichtexistenz.

In "Mein Privatbesitz" präsentiert sich Mary Ruefle als exzentrisch kluge Person, die das Erhabene und das Sonderbare ineinander faltet, bis der Alltag vor Surrealität knistert. Krümel auf der Arbeitsplatte ihrer Küche nimmt sie als invasive Art wahr und begutachtet sie ebenso begierig wie ihre eigene Müdigkeit in einer geschäftigen Welt oder den herrlichen Trost schöner Dinge.

Es sind auch die thematischen Sprünge, Stil- und Tonwechsel, mit denen Ruefle für sich einnimmt. In einer Reihe von sogenannten Farbtexten lotet sie die Vielstimmigkeit der Traurigkeit aus, beschreibt unhaltbare Seelenzustände als farblich markierte Phasen. Listigerweise stellt sie in einer Nachbemerkung am Ende des Buches klar, dass man das Wort Traurigkeit in diesen Farbtexten durch das Wort Freude ersetzen könne.

Sie ist schon auch eine gerissene Autorin, deren Texte von ihrer Belesenheit und von ihrer Lebensweisheit profitieren. In "Zum Beispiel Frank" erzählt sie auf knappem Raum von einem sehr hellen und sehr faulen Schüler, der nicht lesen möchte und von seinem Lehrer ausgerechnet mit Melvilles "Bartleby, der Schreiber" dazu überredet werden soll. Der Schüler wehrt sich mit Bartlebys Worten: "Ich möchte das lieber nicht", und beweist damit, dass er auch ohne Lektüre Bescheid weiß.

Bescheid weiß auch Mary Ruefle, die ihre gut verdrahtete Intellektualität mit einer gehörigen Portion Alltagstauglichkeit polstert. Dichtung und Abwasch gehen bei ihr eine unwiderstehliche Verbindung ein. Kurz: ein must read.