Er schreibt und schreibt. Seine Texte werden zwar deutlich kürzer, aber seine dichterische Fantasie scheint nicht zu versiegen. Pünktlich zum 95. Geburtstag des Grandseigneurs der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ist nun ein Band mit Traumtexten von Martin Walser erschienen, die durch Zeichnungen von Cornelia Schleime mehr als nur begleitet werden.

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"Mühelos führt der Traum ganz verschiedene Räume durcheinander, ohne dass sie einander verletzen oder auch nur stören", schreibt Walser. Und er lässt in seinen Traum-Texten literarische Figuren (unter anderem Maria Stuart) und Zeitgenossen auftreten, etwa die Schriftstellerkollegen Max Frisch, Uwe Johnson, dazu Bert Brechts Sohn, die Kritiker Marcel Reich-Ranicki und Joachim Kaiser (in einer "Baumwollturnhose"), sowie den bei ihm ziemlich blassen "Traum-Experten" Sigmund Freud.

Zu Beginn erhält Walser im Traum eine Abfuhr von Thomas Mann, der sich kurz und knapp äußert, ehe er wieder abtritt: "Sie raten ab von mir, ja!" Diese kurzen, poetischen Traumtexte changieren zwischen hanebüchenen Banalitäten und tiefgehenden Reflexionen über Gott und die Welt.

"Es gibt keine Stelle, wo Jungsein an Altsein rührt oder in Altsein übergeht. Es gibt nur den Sturz." Diese aphoristisch zugespitzte, ernüchternde Lebensbilanz zog Martin Walser in seinem 2016 erschienenen Roman "Ein sterbender Mann", der ebenso wie sein ein Jahr später erschienenes Werk "Statt etwas oder Der letzte Rank" als künstlerische Melange aus Erzählung, Philosophie, Autobiografie und selbstironischem literarischem Verwirrspiel daherkommt. Dem traditionellen Erzählen hat Walser in jüngerer Vergangenheit den Rücken gekehrt. Seine Sprache ist seitdem dafür klarer und präziser geworden.

Martin Walser, der am 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren wurde, hatte alles andere als gute Voraussetzungen, um eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen. Seine Eltern schlugen sich mehr schlecht als recht mit einer Gaststätte und einem Kohlenhandel durch. Nach dem Krieg, den er ab 1943 als Flakhelfer aktiv miterlebte, musste er gleichzeitig seiner Mutter helfen (der Vater war bereits 1938 gestorben) und sich um seine Ausbildung sorgen. Dennoch schloss er 24-jährig sein Studium mit einer Promotion über Franz Kafka ab.

In jüngerer Vergangenheit lief der in Überlingen am Bodensee und in München lebende Autor noch einmal zur literarischen Höchstform auf - beginnend mit den aphoristisch zugespitzten Texten der Sammlung "Meßmers Reisen" (2003), über den "Augenblick der Liebe" (2004) und seinen letzten großen "Erzähl"-Roman, "Muttersohn" (2011), bis hin zum "Sterbenden Mann" (2016) und "Statt etwas oder Der letzte Rank" (2017). Bücher voller Lebensweisheit, in denen sich Walser - mal ironisch, mal bitter-ernst - mit den Problemen des Älterwerdens auseinandersetzt.

Anklänge an die Zeit des großen Romanciers finden sich auch im letzten Text des neuen Bandes. Darin erhält er den "Probedruck" eines neuen Romans. "Siegfried (Unseld) hat ihn gebracht. ‚Fast auf jeder Seite Zwischenüberschriften in gleißendstem Gold.‘ Und Siegfried befindet: ‚Es ist das schönste Buch, das wir je gemacht haben.‘"