Das Alter war stets ein wichtiger Bestandteil von Sagen und Mythen, von Tragödien, Komödien, Romanen, Theaterstücken und Autobiografien. Doch das Bild alter Menschen in der Literatur hat sich gewandelt: Götterväter und -mütter, weise Zauberer, böse und gute Hexen, wahnsinnige Könige oder intrigante Schwiegermütter finden sich noch immer, und zwar vor allem in der Fantasy. Doch was sich in anderen Genres tummelt, sind Senioren, deren Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen von einer breiten Vielfalt sind, die von abgeklärt bis zu schrullig und allem dazwischen reicht.

Eigenwillige Detektivinnen

So durfte Agatha Christies "Miss Marple", ab 1927 in Kurzgeschichten, ab 1930 in Romanen, als scharfsinnige Detektivin mit eigenwilligen Methoden, aber sehr souverän, schwierigste Kriminalfälle lösen. Inspiration war vielleicht Amelia Butterworth, die Amateurdetektivin, die Anna Katharine Green 1878 in "Der Fall Leavenworth" kurz eingeführt hatte, die später aber Hauptfigur in weiteren Kriminalromanen der Autorin wurde. Im gleichen Jahr wie Miss Marple feierte auch Miss Climpson ihre Geburtsstunde: Sie entsprang der Feder von Dorothy Sayers und hatte ihren ersten Auftritt in "Keines natürlichen Todes".

Nobelpreis für einen alten Mann

Trotz dieser sehr emanzipierten Haltung, ältere Frauen zu Detektivinnen und Hauptfiguren eines Kriminalromans zu machen, und des unglaublichen Erfolgs der Bücher erhielt keine der drei Autorinnen je den Literaturnobelpreis. Ernest Hemingway dagegen schon, und zwar 1954 für "Der alte Mann und das Meer". Die Geschichte des alten Fischers Santiago, dem es zwar nach langem Kampf gelingt, einen Marlin zu erlegen, ihn aber auf dem Weg zurück in den Hafen an Haie und andere Raubfische verliert, gilt als eines der großen Meisterwerke der Literatur, das beispielhaft das Vergehen der Kräfte im Alter, das Anerkennen und Akzeptieren von eigenen Grenzen und das Leben aus der Erinnerung schildert.

Senioren heute - unangepasst, flott und eigenständig

Heute steigen Hundertjährige aus dem Fenster, weil sie ihren Geburtstag nicht feiern wollen, und kehren später zurück, weil ihnen im Dauerurlaub langweilig ist ("Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" und "Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten", beide von Jonas Jonasson). Oder ein Mann will sich das Leben nehmen, weil seine Frau gestorben ist und ihn sonst niemand versteht. Doch seine Versuche scheitern und als ein Vorfall im Ort seinen Kampfgeist weckt, erkennt er endlich, dass sein Leben weder sinnlos noch leer ist ("Ein Mann namens Ove" von Fredrik Backman).

Dann gibt es noch die Freundesrunde, die sich erst im Altersheim kennenlernt, aber keine Lust auf den ewig gleichen Alltagstrott und schon gar nicht auf das dort angebotene Essen hat ("Zur Hölle mit Seniorentellern!" von Ellen Berg), oder den Roadtrip dreier ziemlich ältester Freunde, die, um ein Versprechen einzulösen, in einem klapprigen Bus durch die USA reisen ("Letzter Bus nach Coffeeville" von J. Paul Henderson).

Macht das Alter Spaß?

Doch was bedeutet Altsein überhaupt? Kann es Spaß machen? Wenn eine Autorin gleichzeitig Hauptdarstellerin des Buches ist und aus ihrem eigenen Leben erzählt, dann erfährt man, was es bedeutet, endlich Zeit und Muße für Dinge zu haben, die man schon immer tun wollte, befreit von Leidenschaften, hochfliegenden Wünschen, Rivalitäten oder Versagensängsten. Wer das Alter nicht erlebt, verpasst den besten Teil des Lebens, glaubt Jane Miller, geboren 1932 und sechsfache Großmutter: "Ich habe die Hoffnung, dass man im Alter neue Arten von Zeit, Vergnügen, vielleicht sogar Vitalität entdeckt; dass man trotz Vergessens, Verschusselns und Sich-Verhörens manche Dinge zum ersten Mal versteht." ("Die magischen Jahre")

Was an diesen Beispielen auffällt, ist, dass die Hauptdarsteller primär Einzelpersonen, zufällig zusammengewürfelte Gemeinschaften oder langjährige Freunde sind, aber keine Paare. Es geht nicht vorrangig um Liebe im Alter zwischen zwei Menschen und was passiert, wenn einer der beiden Partner stirbt. Aber wer sucht, findet auch dafür literarische Beispiele, wenn auch wenige. Drei herausragende sollen an dieser Stelle vorgestellt werden.

Ein mythologisches Paar

"Auf einem Hügel im Lande Phrygien steht eine tausendjährige Eiche und dicht neben ihr eine Linde von gleichem Alter, beide von einer niedrigen Mauer umgeben. (…) Nicht weit davon breitet ein sumpfiger See die seichte Flut; wo vordem bewohntes Erdreich war, da flattern jetzt nur Taucher und Fischreiher umher." So beginnt "Philemon und Baucis", festgehalten für die Nachwelt von Gustav Schwab in "Sagen des klassischen Altertums".

Philemon und Baucis vor dem Tempel, in dem sie den griechischen Göttern dienen: Illustration von Henri de Nolhac (1884-1948) in "Nouveaux Contes de la Louve" von Charles Gailly de Taurines, 1939. 
- © Kharbine-Tapabor / imago images

Philemon und Baucis vor dem Tempel, in dem sie den griechischen Göttern dienen: Illustration von Henri de Nolhac (1884-1948) in "Nouveaux Contes de la Louve" von Charles Gailly de Taurines, 1939.

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Es ist die ergreifende Geschichte eines alten Ehepaars, das zwei Wanderern Obdach gewährt und ihnen ein Festmahl, zubereitet aus ihren kärglichen Vorräten, vorsetzt. Die beiden Fremden, die zuvor von allen anderen Bewohnern des Dorfes abgewiesen worden waren, sind von der Gastfreundlichkeit und der Liebe der beiden alten Menschen zueinander tief bewegt. Als sie sich als Götter zu erkennen geben, sind die Gastgeber ob ihrer Armut zutiefst beschämt, doch Zeus und Hermes belohnen die beiden für ihre Freundlichkeit, indem sie sie auf einen nahegelegenen Berg führen und sie von dort dem Untergang des Dorfes in einer mächtigen Flut beiwohnen lassen, die nur ihre Hütte übersteht. Die wird flugs zum prächtigen Tempel, in dem Philemon und Baucis fortan den Göttern dienen. Und im hohen Alter, am Ende ihres Lebens, wird ihnen ihr einziger Wunsch erfüllt: zur selben Stunde zu sterben. Als ewiges Zeugnis ihrer großen Liebe zueinander werden die beiden zu Bäumen, einer Eiche und einer Linde, die im Tode so eng beieinander stehen wie im Leben.

Es ist nur eine kurze und vielleicht weniger bedeutende Geschichte im großen Kreis der griechischen Sagen und Mythen, doch sie ist eine besondere, erzählt sie doch weder von Kriegen, Heldentaten oder starken jungen Männern, die scheinbar unlösbare Aufgaben bewältigen. Sie erzählt vom Alter, von einem Leben in Armut – und von der Liebe eines Paares, die den Tod überdauert. Denn sogar Götter wissen: "Ehre wird denen zuteil, die Ehre erweisen."

Ein Paar schreibt über ein Paar

Das Buch "Unsere Seelen bei Nacht" hat nicht nur eine ungewöhnliche Beziehung zum Inhalt, sondern eine ebensolche Entstehungsgeschichte. "Ich werde ein Buch über uns schreiben", sagte der US-amerikanische Autor Kent Haruf im April 2014 zu seiner Frau Cathy. Im Zentrum sollte das stehen, was er als seine liebste Erinnerung betrachtete: ihre nächtlichen Gespräche, während sie Hände hielten – ein Buch über die Liebe. Er vollendete es nur wenige Monate später, kurz bevor er im Alter von 77 Jahren einer Lungenerkrankung erlag, bloß eine Woche, nachdem der Verlag Pan MacMillan von seiner Frau das Manuskript erhielt; veröffentlicht wurde es 2015 posthum.

In "Unsere Seelen bei Nacht" geht es um Addie und Louis; beide sind 70 Jahre alt, beide sind verwitwet. Und sie sind Nachbarn in einer (fiktiven) Kleinstadt namens Holt in Colorado. Sie will die Nächte nicht länger allein und schlaflos verbringen und so fragt sie Louis, ob er hin und wieder bei ihr übernachten will. An Sex denkt Addie dabei nicht, sie wünscht sich einfach wieder menschliche Nähe und ein Ende ihres Alleinseins. Louis geht auf ihren Vorschlag ein, doch als er mit Pyjama und Zahnbürste durch ihre Hintertür schleichen will, lässt sie ihn durch die Vordertür ins Haus: Sie hat nichts zu verstecken und nichts, wofür sie sich schämen muss. Aus der nächtlichen Zweisamkeit mit Geplauder bis zum Einschlafen wird eine Beziehung und sogar Addies Enkel Jamie findet großen Gefallen an Omas neuem Freund. Doch ein Sommer voller Glück endet in einer Katastrophe, als Addies Sohn Gene seine Mutter vor ein Ultimatum stellt: Sie muss sich zwischen Jamie und Louis entscheiden.

Kent Haruf hat als Ehemann gemeinsam mit seiner Frau über zwei alte Menschen geschrieben, die ein Paar werden, wenn auch ein ungewöhnliches, das von den anderen Kleinstadtbewohnern nicht nur mit Wohlwollen betrachtet wird. Leise, sehr poetisch und geradezu sparsam erzählt er von spätem Glück, ohne Kitsch, aber dennoch gefühlvoll; seine Figuren sind präzise charakterisiert und er verliert kein unnötiges Wort. Haruf lässt den Leser von Beginn an nicht im Unklaren, wie das Buch enden wird – dazu ist er zu sehr Realist. Wünschen wir uns nach Ende der Lektüre, dass es anders ausgegangen wäre? Natürlich. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert, wie es so schön heißt, und die Regeln und Anschauungen der Gesellschaft, vielleicht besonders in konservativen Kleinstädten, sind nur schwer zu verändern. Doch die Hoffnung schwingt mit in seinem kurzen, aber prägnanten Buch: "Unsere Seelen bei Nacht" ist Harufs Abschiedsgeschenk als Autor, eine Ode an die Liebe, die auch im Alter nicht endet.

Ein Paar schreibt über sich selbst

Ein schreibendes Ehepaar sind – respektive waren – Irvin D. Yalom und seine Frau Marilyn. Der bekannte US-amerikanische Psychotherapeut und die Literaturwissenschafterin waren 65 Jahre miteinander verheiratet und stets ein Herz und eine Seele. 2019 wird bei ihr ein Multiples Myelom diagnostiziert, infolgedessen sie sich einer Chemotherapie unterziehen muss. Nach einigen Komplikationen erklärt Marilyn ihrem Mann, dass sie gemeinsam mit ihm ein Buch schreiben möchte, in dem sie die ihr verbleibenden Wochen und Monate dokumentieren will, weil sie hofft, dass es anderen Paaren, bei denen ein Partner an einer tödlichen Erkrankung leidet, helfen kann, diese Zeit bestmöglich durchzustehen. Irvin will zunächst nicht, weil er gerade an einem anderen Buch schreibt, doch Marilyn kann ihn überzeugen: "Oh, nein, nein – dieses Buch wirst du nicht schreiben. Du wirst dieses eine mit mir schreiben! Du wirst deine Kapitel schreiben und ich meine, und sie werden sich abwechseln. Es wird unser Buch werden, ein einzigartiges Buch, denn es wird zwei Denkweisen beinhalten, nicht nur eine, es werden die Überlegungen eines Paares sein, das seit fünfundsechzig Jahren verheiratet ist! Eines Paares, das glücklich genug ist, einander beistehen zu können auf diesem Weg, der schlussendlich zum Tode führt. (…)", schreibt Marilyn im Vorwort. Und weiter: "(…) Wir leben nun jeden Tag mit dem Wissen, dass unsere gemeinsame Zeit begrenzt ist und äußerst kostbar. Wir schreiben, um unserer Existenz einen Sinn zu verleihen, auch wenn es uns in die dunkelsten Zonen des körperlichen Verfalls und des Todes befördert. Dieses Buch soll uns zuallererst und vor allem dabei helfen, mit dem Ende des Lebens zurechtzukommen. (…)" Marilyn Yalom starb, bevor das Buch ("Unzertrennlich. Über den Tod und das Leben", im Original "A Matter of Death and Life") vollendet war, und Irvin musste es allein fertigschreiben.

Dieses Buch zu lesen ist hart, obwohl es vermutlich noch härter war, es zu schreiben in dem Wissen, dass die geliebte Frau bald nicht mehr da sein wird, beziehungsweise den geliebten Ehemann allein zurückzulassen. Doch so schonungslos die beiden über Krankheit und Verfall schreiben, so offen und intensiv schreiben sie über das Leben, die Liebe und das Glück der Zweisamkeit. Sie reflektieren darüber, wie man ohne Bedauern leben kann, mit einer tiefen Weisheit und auf der Basis einer seit Teenager-Jahren bestehenden Verbundenheit. Am Ende wissen wir ein bisschen mehr über die elementaren Dinge des Lebens, über Liebe und Trauer, über das Zurückbleiben und dass das Leben trotzdem weitergeht.

"Trauern ist der Preis, den wir zahlen, wenn wir den Mut haben, andere zu lieben." Das steht ganz am Anfang des Buches, und Irvin Yalom zahlt den Preis. "Unzertrennlich" ist der Beweis, dass es sie noch gibt, die lebenslange Liebe zwischen zwei Ehepartnern, und was es bedeutet, sie erleben zu dürfen. Ein Ende wie Philemon und Baucis war den Yaloms zwar nicht vergönnt, doch dass Irvins Liebe zu Marilyn nicht mit ihrem Tod endete, spürt man in jedem der abschließenden Kapitel.