D"Der Krieg wird erst mit Putins Tod enden", sagt Andrej Kurkow im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": "Ich sehe keine andere Möglichkeit. Er ist schon zu weit gegangen, er wird das beinhart durchziehen", so die düstere Prognose.

Kurkow zählt zu den international bekanntesten ukrainischen Schriftstellern; der 61-Jährige war kürzlich auf Einladung des Innsbrucker Haymon-Verlags in der Burgtheater-Dependance Kasino am Schwarzenbergplatz zu Gast. Simone Brunner, die Korrespondentin des Hamburger Wochenblatts "Die Zeit", moderierte die zweistündige Lesung samt Gespräch zur Lage in der Ukraine. Das Interesse war enorm, der Zuschauerraum brechend voll.

Kurkow hinterfragte auch die Wirksamkeit der Sanktionen des Westens gegenüber Russlands: "Die Mehrheit der Menschen hatte nie ein gutes Leben in Russland, für sie macht es keinen Unterschied, ob die Ökonomie getroffen ist oder nicht, bestenfalls trifft es die reichen Oligarchen - und die wissen sich zu helfen."

Zwischen den Kulturen

Bereits seine Herkunft weist Kurkow als einen idealen Gesprächspartner zum Kriegsgeschehen aus: Geboren in St. Petersburg und aufgewachsen in Kiew, versteht er sich als ukrainischer Staatsbürger - und zählt zugleich zu jener russischen Minderheit, die Wladimir Putin als Vorwand für den Angriffskrieg diente.

Kurkow erkennt indes einen tiefgreifenden Mentalitätsunterschied zwischen ukrainischen Russen und russischen Russen: Erstere seien freiheitsliebend, Letztere tendenziell obrigkeitshörig. "Putin regiert in Russland seit 21 Jahren wie ein Zar. In dieser Zeit hatte die Ukraine bereits fünf verschiedene Präsidenten."

Auch sein schriftstellerisches Dasein ist vom Changieren zwischen den Kulturen und Nationen geprägt. Kurkow schreibt seine Romane, die in viele Sprachen übersetzt werden, auf Russisch, ist in der Ukraine ein arrivierter Autor und Präsident des dortigen PEN-Clubs, während er in Russland ziemlich umstritten ist. Das könnte damit zu tun haben, dass er sich in seinen Texten an der wechselvollen Geschichte der Ukraine abarbeitet - und keineswegs mit Russland-Kritik spart.

Sein "Ukrainisches Tagebuch" ist eine Chronik der Demonstrationen auf dem Majdan, berichtet von der Eskalation der Gewalt, der Krim-Annexion durch Russland 2014. Kurkows jüngster Roman "Graue Bienen" ist thematisch im umkämpften Grenzgebiet Donezk angesiedelt und schildert das entbehrungsreiche und gefahrenvolle Leben einfacher Leute. "Ich kenne viele Donbass-Veteranen, die sich in den vergangenen Jahren auf einen möglichen Krieg vorbereitet haben", so Kurkow. "Der Zusammenbruch der Sowjetunion war für Putin die größte Katastrophe. Am Ende seines Lebens will er das jetzt korrigieren und in die Geschichte eingehen."

Bis zum Ausbruch des Krieges lebte Kurkow wenige Minuten vom Majdan entfernt. "Die Proteste dort waren ein Testlauf", sagt er: "Spätestens seit Kriegsbeginn befindet sich die Ukraine in der Konsolidierungsphase. Putin beabsichtigte, den ukrainischen Staat zu zerstören. Stattdessen hat er uns als Nation erst recht zusammengeschweißt." Über die Tapferkeit der Ukrainerinnen und Ukrainer sagt Kurkow: "Ich erwartete Widerstand, aber nicht auf diesem Niveau. Das ist viel mehr, als ich mir vorgestellt hatte." Auch Präsident Wolodymyr Selenskyj, den Kurkow vor Kriegsbeginn noch heftig kritisiert hatte, erweist sich in den Augen des Autors als geradezu idealer Kriegspräsident: "Ich hätte nicht gedacht, dass er die Rolle des Helden dermaßen gut zu verkörpern vermag."

Nach seinem Kurzaufenthalt in Wien und Stationen in Paris und Oslo wird Kurkow wieder in die Ukraine zurückkehren, allerdings nicht nach Kiew, sondern in ein Dorf im Westen des Landes. Von den Karpaten aus berichtet er via Twitter und im Auftrag internationaler Medien über die Lage in der Ukraine. Gemeinsam mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen hilft er, wie er gegenüber der "Wiener Zeitung" betont, Menschen auf der Flucht. Seine eigene Tochter lebt in Großbritannien. "Das Leben geht auch im Krieg weiter, aber so etwas wie Lebensfreude empfinde ich im Moment überhaupt nicht."