Phil Klay sieht aufgeräumt aus, mit gerader Körperhaltung und akkurat an den Kopf gegelten Locken. Ganz, wie man sich einen ehemaligen US- Marine vorstellt. 2005 meldete er sich freiwillig zum Militär. Nach seiner Rückkehr aus dem Irak begann Klay, über den Krieg zu schreiben und hat seitdem nicht aufgehört. 2021 erschien sein Romandebüt "Missionaries" unter dem Titel "Den Sturm ernten"auf Deutsch bei Suhrkamp. Die "Wiener Zeitung" traf Phil Klay bei den Erich-Fried-Tagen zum Gespräch.

"Wiener Zeitung":Wie ist Ihnen die Idee gekommen, über den Konflikt in Kolumbien zu schreiben?
Phil Klay: Ich schreibe und denke seit zwei Dekaden über amerikanische Kriege nach, und je länger ich das tat, desto unzureichender empfand ich es, über einen Konflikt isoliert zu schreiben. Die Strategien und Taktiken, wie wir Kriege führen, kann man in Afghanistan, im Irak und in Kolumbien beobachten. Wie erklärt man die moderne Kriegsführung, wenn man nur über einen Konflikt spricht, ohne über die globalisierte Welt zu sprechen, die wir haben?
Das trifft aktuell auch auf den Ukrainekrieg zu.
Was in der Ukraine passiert, passiert auch in vielen anderen Konflikten: Viele Staaten sind indirekt durch Technologie, Training, Ausbildung, Geheimdienst und Waffen in den Krieg involviert. In meinem Roman sind alle vier Hauptfiguren Teil von solchen Institutionen, die im modernen System der Kriegsführung eine Rolle spielen, was für die meisten Menschen undurchsichtig ist. Ich versuche, dieses moderne System der Kriegsführung durch Fiktion zu erforschen.
Ihre Figur Lisette ist Kriegskorrespondentin in Afghanistan und später Kolumbien. Sie selbst waren im Irak für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Was unterscheidet das journalistische und schriftstellerische Schreiben über den Krieg?
Ich möchte keine strikte Unterscheidung vornehmen, aber ich denke, in der Fiktion versuche ich, Verbindungen zwischen Dingen zu finden, die nicht unbedingt zusammenpassen. Ein Beispiel: Die kolumbianische Stadt Saravena wird von der Guerilla kontrolliert. Das kolumbianische Militär versuchte dort, die Bevölkerung, die ihm gegenüber feindselig war, auf seine Seite zu ziehen und kam auf diese verrückte Idee, einen Soldaten als Clown zu verkleiden und in Schulklassen zu schicken. Was das Militär nicht wusste: Die Guerilla hatte vorher viele Neuankömmlinge im Ort aus Misstrauen sofort hingerichtet. Auch eine Truppe von "Clowns ohne Grenzen". Die Guerilla hat ihre Körper auf der Straße liegen gelassen. Clownleichen waren also die einzigen Clowns, die die Kinder je gesehen hatten. Als ich darüber las, wusste ich, dass ich das im Buch verwenden würde, aber ich wusste nicht, wie. Herauszufinden, wie man diesen Vorfall ohne einen billigen Schock einsetzt, sondern als etwas, das in verschiedenen Registern widerhallt, ist die Arbeit eines Romanautors.
Lisette sehnt sich bei ihrer Rückkehr in die USA zurück an die Front. Kennen Sie dieses Gefühl?
Ja. Ich denke, in einem bestimmten Milieu fühlen wir uns sehr wohl mit der Vorstellung, dass Krieg die Hölle ist, nicht aber mit dem Gefallen, das Menschen am Krieg finden können - auch Menschen, die nachdenklich, anspruchsvoll, einfühlsam und moralisch sind, wie der US-Soldat Mason in meinem Roman. Er ist skeptisch gegenüber dem Krieg, den Amerika in Afghanistan führt. Aber es gibt Momente, wo er seinen Job liebt, er ist ein Profi. In unserer Vorstellung kann sich nur eine Bestie am Krieg erfreuen. Aber nicht nur Unmenschen erfreuen sich am Krieg. Krieg gibt das Gefühl der Schärfe und Intensität des Lebens und ein Gefühl von Zweck, auch wenn der Krieg als Ganzes sinnlos zu sein scheint. Das sind komplexe Angelegenheiten. Ich denke, dass es wichtig ist, sich damit auseinanderzusetzen. Ich bin mir nicht sicher, ob ein Buch über Krieg, das nur über seinen Horror spricht, nützlich ist. Weil ich denke, dass wir wachsam sein müssen für die Gefühle von Freude und Faszination, die die Welt in uns hervorruft, wenn wir uns ehrlich damit auseinandersetzen wollen.
Viele jüngere Menschen in Europa sind im Frieden großgeworden. Sie verurteilen Gewalt und doch unterstützen sie derzeit die kriegerischen Verteidigungshandlungen der Ukrainer und sind erleichtert, wenn sie Bilder von ausgebrannten russischen Panzern sehen. Warum ist das so?
Viele Menschen, die Kriege moralisch verurteilen, sind sich gerade nicht sicher, was sie mit den Gefühlen anfangen sollen, die sie haben, wenn die Ukrainer ihr Land verteidigen und kämpfen. Ich unterstütze die Ukraine, aber es ist seltsam, zu sehen, wie Menschen Videos von erfolgreichen ukrainischen Schlägen gegen Russland teilen. Was sie in Wirklichkeit teilen, sind Videos von russischen Soldaten, die verbrennen. Auch wenn ich mir einen Erfolg auf dem Schlachtfeld wünsche, ist das immer tragisch. Wir haben es gerade sehr schwer mit unseren moralischen Legenden, besonders in einem Angriffskrieg, der so klar ist wie dieser.
Man kann sich also Frieden wünschen und gleichzeitig kriegerische Handlungen in Form von Verteidigungen gutheißen?
Das Beste für den Frieden ist auf lange Sicht, der ganzen Welt klarzumachen, dass einen Angriffskrieg zu beginnen so schlau ist wie das Berühren eines heißen Eisens. Um das deutlich zu machen, muss man wollen, dass die Ukraine hochentwickelte Waffen bekommt, um Russland große Schmerzen zuzufügen. Wir sollten nicht empfindlich sein, wie das in der Praxis aussieht. Es ist eine brutale Sache, aber wie sonst erreicht man Frieden für die Ukraine? Jeder wünscht sich eine diplomatische Lösung, aber der Krieg wird leider auf dem Schlachtfeld bestimmt werden.
Wenn Sie über Gewaltszenen schreiben, schreiben Sie mit klarer Sprache. Es gibt eine Szene, wo Mason einen Jungen mit offenem Bauch findet, aus dem Gedärme hervorquellen, und eine Szene, wo der Bürgermeister eines kolumbianischen Dorfes öffentlich zersägt wird. Braucht es eine brutale Sprache, um nicht Gefahr zu laufen, Krieg zu verherrlichen?
Ich möchte nicht einfach nur mit einer Pornografie der Gewalt schockieren. Dass Mason den Jungen mit dem offenen Bauch begegnet, hat zur Folge, dass er versteht, was es bedeutet, einen Krieg in den Häusern und Gemeinschaften der Menschen zu führen, dass Kindern Gewalt widerfährt. Die andere genannte Szene ist ein Akt des politischen Theaters. Paramilitärs zerstören strategisch Dorfgemeinschaften, die in Wahlen gegen ihre politischen Verbündeten gestimmt haben. Das Grauen dieser Szene wird als bewusstes politisches Theater beschrieben.
Wie hat sich seit Ihrer Rückkehr aus dem Irak Ihre Haltung zu Krieg verändert?
Als ich mit dem Schreiben meines ersten Buches begann, war ich noch im Marinecorps und gerade aus dem Irak zurückgekommen. Die Region im Irak, in der ich war, war bei unserer Ankunft extrem gewalttätig. Im ersten Monat gab es Selbstmordbomben. Ich hatte ein Kind auf einer Trage. Ich habe noch nie zuvor gesehen, was Bomben mit menschlichen Körpern machen. Und am Ende dieses Einsatzes war es ruhig. Wir verließen den Irak mit dem Gefühl, eine gute Richtung eingeschlagen zu haben. Dann gingen unsere Einheiten nach Afghanistan und versuchten, dasselbe zu tun. Die Zeit verging, Menschen, die ich kannte, wurden verletzt oder getötet und Afghanistan war eine massive Verschwendung von Leben. Dann kam der Aufstieg des IS und so lassen mich die Ereignisse überdenken, woran ich beteiligt war, als ich über Krieg schrieb, was mich auch dazu bringt, den Krieg zu überdenken.
Wie geht es den Rückkehrern aus solchen Kriegen?
Es gibt eine Vielzahl von Wunden: Posttraumatischer Stress als psychologische Wunde, aber auch moralische Verletzungen. Es geht um tiefe spirituelle und moralische Reaktionen und Bedenken am Krieg. Was die Soldaten neben medizinischer Versorgung brauchen, darüber sollte man mehr nachdenken.
Auch in Ihrem Roman geht es um die Auswirkungen von Gewalt auf Menschen. Die Familie von Abelito etwa wurde von der Guerilla getötet, er wird selbst Teil einer paramilitärischen Gruppe. Kann jemand, der Gewalt erlitten hat, ihr entkommen?
Der Roman erforscht die ganze Bandbreite der verschiedenen Reaktionen auf Gewalt: Abelito wurde seiner Gemeinschaft entrissen, und sein Wunsch ist es, einen Platz in einer neuen Gemeinschaft zu finden, umgeben von Menschen, die ihn respektieren. Für ihn ist es kein psychologischer Prozess, sondern ein sozialer, als Antwort auf das, was er durchgemacht hat. Die Figur Louisa wiederum erlebt die Zerstörung ihres Dorfes und entschließt sich, Aktivistin in der Region zu werden.