Was tut man, wenn es draußen - obwohl oder gerade weil der Kalender schon auf April steht - so saukalt ist, dass man in der Früh überlegt, ob man überhaupt das warme Bett verlassen soll? Man greift zu heißer Lektüre. Die liefert Verena D. Eulenthal mit "Der Süßspecht muss sterben", und zwar im doppelten Wortsinn. Denn die Handlung ist sehr delikat - und spielt in der sommerlichen Wiener Großstadthitze.

Elena Frohsinns eher lagweilige Arbeit im Energieministerium wird jäh unterbrochen, als ein verhasster Kollege mit Pralinen vergiftet wird. Das Problem: Der "Süßspecht", wie er wegen seiner Vorliebe genannt wurde, war ein gemeiner Erpresser und Schürzenjäger, der auch Elena im Visier hatte. Denn sie hat ein Vorleben, das sich gewaschen hat (und das der Leser nach und nach parallel zur aktuellen Handlung näher erläutert bekommt) - Stichworte: Swingerclub, Sugar Daddy, Domina als beste Freundin.

Und Heinz Heintl, der "Süßspecht" wollte sie damit erpressen. Was an sich schon schlimm genug für Elena wäre, doch wenn man das dem ermittelnden Kriminalkommissar, dem man privat näher kommt als erlaubt, vorenthält, ihn sogar in dieser Causa anlügt, dann kann nichts Gutes dabei herauskommen. Vor allem, wenn die Lüge dann herauskommt. Auch wenn Elena für die zweite Leiche, die unweigerlich auftaucht, ein perfektes Alibi hat - einen schlanken Fuß macht das Ganze nicht.

Apropos schlank: Die Frau Doktor, seit Jahren unglücklicher Single, ist heute gertenschlank, während sie als Kind ein Pummelchen war. Weshalb das wichtig ist? Weil auch diese Entwicklung ein Teil ihrer Lebensgeschichte war, die eine gewisse Rolle für den Roman spielt. Und mit der sich die Autorin selbst eine Steilvorlage gibt für die Behandlung eines Themas, das bei allem schwarzen Humor und geschilderter Wollust, die in ihrer Erzählung breiten Raum einnehmen, so ernst ist, wie es nur geht. Stichworte: väterlicher Freund, Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses, Sex-Erpressung.

Hätte das Buch ein Mann geschrieben, könnte man dem glatt vorwerfen, sich ein delikates Thema genommen und das genüsslich ausgewalzt zu haben, um Männerfantasien zu bedienen. So aber ist es wohl eher als Appell zu lesen, als Jugendliche gesellschaftlichem Druck und Gruppenzwang zu widerstehen und sich nicht den falschen Leuten anzubiedern. Ob es hilft? Nun, ein Blick in die Sozialen Medien macht der Frauen-Empowerment-Bewegung da wohl eher wenig Hoffnung, wenn man es in der Breite betrachtet. Man kann freilich auch den Krimi einfach als Krimi lesen und der spannenden und doch auch sehr unterhaltsamen Geschichte über eine verzweifelte, alleinstehende Fast-Vierzigerin folgen, ohne groß über die Metaebene nachzudenken. Ob das allerdings im Sinne seiner Autorin ist?