In Dietrichs Wohnung hängt prominent das Bild eines Maulwurfs mit rosa Schnauze. Dietrich Pernauer hat es gegen ein martialisches Männerporträt aus der NS-Zeit getauscht, das den Platz dort einnahm, solange sein Onkel noch da wohnte. Nach dessen Tod hatte er kaum etwas verändert, als er die Wohnung übernahm.

Sie bildet somit den Spiegel seiner Persönlichkeit: In eine vom nationalsozialistischen Gedankengut geprägte Familie hineingeboren, ist es Dietrich nicht (so wie einer seiner Schwestern) gelungen, auszubrechen. Im Gegenteil, er gehört einer schlagenden Verbindung an, aber ohne besondere ideologische Überzeugung. Mit nur wenigen Entscheidungen setzt er ein paar eigene, persönliche Akzente in seinem Leben. Seine Homosexualität lebt er im Verborgenen aus.

Hans-Werner Hänsel, Dietrichs marxistischen Kontrahenten aus der gemeinsamen Hochschulzeit vor vielen Jahren, lernen wir erst ab der Hälfte des Buches kennen. Bis dahin leuchtet der oberösterreichische Autor Christian Schacherreiter die Familie Pernauer ausgiebig aus - und zeichnet deren Mitglieder in unterschiedlichen Schattierungen rechtsextremen Denkens.

Es ist ein Spektrum, wie es uns im realen Leben auch begegnet: Nur wenige der im rechten Milieu zu Verortenden sind Bekenner einer "reinen Lehre". Die meisten können ihre Prägung mehr oder weniger gut verbergen, verraten nur durch einzelne Festlegungen, Gewohnheiten oder Mitgliedschaften, aus welchem "Stall" sie kommen. Rechtes Gedankengut sieht derjenige nicht als bedrohlich an, der unreflektiert damit groß geworden ist. Vorsicht bezüglich der eigenen Meinung in der Öffentlichkeit ist daher nicht auf Scham zurückzuführen, als vielmehr auf die Sorge, damit anzuecken.

Schacherreiter stellt seinem Roman ein Zitat Arthur Schopenhauers voran, in dem dieser Stachelschweine beschreibt, die näher aneinander rücken, um sich gegenseitig bei Kälte zu wärmen, aber von den Stacheln der anderen jeweils zurückgestoßen werden. Schließlich finden sie im ständigen Vor und Zurück eine bestimmte Distanz zueinander als die für sich beste Position.

So geht es auch Dietrich mit seiner Familie: Auf der Suche nach Wärme nähert er sich seinen Verwandten an, sieht sich aber immer wieder durch ihr Verhalten rüde zurückgestoßen. Ähnliches erlebt er auch anderswo, etwa nach einer gemeinsamen Nacht mit "seinem" Parteiobmann, der im Roman "Schorsch" heißt, aber leicht als "Jörg" des realen Österreich identifizierbar ist. Schorsch denkt nicht daran, dieser Nacht mit Dietrich noch weitere folgen zu lassen. So bleibt dieser einsam, denn auch die Burschenschaft bietet nicht jene Ersatzfamilie, die er sucht.

Doch dann kreuzen sich aufgrund einiger Zufälle wieder die Wege der einstigen politischen Antipoden: des selbstbewussten Linken Hans-Werner und des von ihm stets als Nazi gedemütigten Dietrich. Nur haben sich jetzt die Rollen verändert: Hans-Werner, gerade noch strahlender Anwärter auf den Obmann-Posten der linken Landespartei, wird von einer ehemaligen Kommilitonin beschuldigt, sie einst im Umfeld einer Uni-Feier vergewaltigt zu haben.

Hans-Werner kann sich an nichts erinnern, taucht aber vorerst einmal unter. Und findet Unterschlupf ausgerechnet bei Dietrich, der nun eine nicht unerhebliche Entscheidungsgewalt über sein Wohl und Wehe erhält. Im zweiten Teil lernen wir das andere Milieu im politischen Spek-trum kennen, das im Zwischenmenschlichen auch nicht viel besser reagiert als Dietrichs Familie.

Christian Schacherreiter stellt dies erzählend nüchtern fest und konstruiert keine Links-Rechts-Symmetrien, sondern lässt das Leben spielen, mit all seinen Ungerechtigkeiten und Überraschungen. Obwohl der Autor eigentlich einen "Me-Too"-Roman schreiben wollte, tappt er nicht in die Falle der Parteinahme. Zwar zeigt er auf, wie unmittelbar lebensverändernd und existenzbedrohend sich eine solche Beschuldigung auf den Betroffenen auswirken kann - und wie vorverurteilend die persönliche Umwelt reagiert. Schacherreiter rollt aber nicht die Schuldfrage auf, verwehrt darum auch der Kommilitonin das persönliche Erscheinen im Roman.

Damit konzentriert er sich auf die Kommunikation seiner beiden "Stachelschweine" und deren Nähe oder Ferne zueinander und zu ihrem jeweiligen persönlichen Umfeld. Er tut dies mit der gebotenen emotionalen Zurückhaltung des Chronisten, aber auch mit der seine Hauptfiguren sympathisierend begleitenden Nähe des genauen Beobachters. Dadurch entstehen sehr konkrete und anschauliche Bilder, die in der Leserschaft einige Wiedererkennungsmomente auszulösen vermögen.

Schacherreiters immer wieder humorvolle und ironische Beschreibungen nehmen dem Text allzu große Bedeutungsschwere und machen das Buch zu einem erfreulichen Leseerlebnis.