Was sollen ukrainische Kinder tun, die in den Westen geflüchtet sind? Sich von den Schrecken des Krieges erholen - und dabei auch lesen. Doch das ist gar nicht so einfach, weil der Markt hierzulande natürlich nicht auf eine Nachfrage nach ukrainischsprachigen Kinderbüchern vorbereitet ist. In Deutschland werden diese bereits von mehreren Buchhändlern händeringend gesucht, weil die meisten potenziellen Kunden nun Ukrainer sind. Manche versuchen auch Bücher aus der Ukraine in den Westen zu holen.
Es wird aber auch Kritik an deutschsprachigen Verlagen laut, die zu langsam reagiert hätten. Dabei sei doch gerade bei Bilderbüchern eine zeitnahe Übersetzung ins Ukrainische leicht möglich, zitierte jüngst das "Börsenblatt" einen deutschen Buchhändler, der allerdings zugleich auch vor schlampig übertragenen Schnellschüssen warnte. Zur Verteidigung der Verlage muss man freilich auch berücksichtigen, dass wohl niemand die potenziell nachgefragte Auflagenhöhe ukrainischsprachiger Kinderbücher im deutschsprachigen Raum absehen kann. Und sich somit die Frage der Wirtschaftlichkeit stellt, wenn man sie auf Verdacht druckt - und zwar wohl nicht im kostengünstigeren Digitaldruck, sondern eher im Offsetdruck, der sich erst ab einer gewissen Stückzahl rentiert. 

Der Verlag Penguin Randomhouse hat hier eine Lösung gefunden und mit einem digitalen Angebot bereits auf die Fluchtwelle aus der Ukraine reagiert. Auf seiner Website werden derzeit vier Kinderbücher für Kindergarten- und Vorschulkinder als kostenlose PDFs zum Download angeboten: ein Bildwörterbuch aus Ingo Siegners Reihe "Der kleine Drache Kokosnuss", Ute Krauses "Minus Drei wünscht sich ein Haustier" (in dem ein Saurier die Hauptrolle spielt), Stephanie Schneiders "Platz da, ihr Hirsche!" (über Egoismus und dass Teilen doch besser ist) sowie Annette Herzogs "Kleiner Dachs & großer Dachs - Der riesengroße Streit" (über - richtig geraten! - Freundschaft, Streit und Versöhnung).

Es werden hoffentlich nicht die einzigen Bilderbücher für ukrainische Kinder bleiben. So hat nun auch der österreichische Verlag Jungbrunnen angekündigt, mit Hilfe der Österreichischen Kinderfreunde und Sponsoren Mira Lobes Kinderbuchklassiker "Das kleine Ich bin ich" als zweisprachige Ausgabe zu drucken und 5.000 Exemplare unter ukrainischen Kindern zu verteilen. Das Buch erscheint ab 17. Mai in Österreich auf Deutsch und Ukrainisch und wird ab Ende Mai auch nach Deutschland und in die Schweiz ausgeliefert. 
"Das kleine Ich bin ich" wurde für das Projekt ausgewählt, "weil es davon handelt, dass jedes Lebewesen und jedes Kind einzigartig und wertvoll sind", so der Verlag. "Jedes Kind sollte überall willkommen sein und das geht nur, wenn Frieden herrscht."

"Ein Stück weit Geborgenheit, Halt und Ablenkung"

Was nun die vier ukrainischen Kinderbücher bei Penguin Randomhouse betrifft, so haben diese Lesya Skintey, Olha Rachynska und Olga Strobel übersetzt, die "den Gedanken, welchem Leid und Schrecken diese Kinder mitten in Europa im 21. Jahrhundert ausgesetzt waren", unerträglich findet. "Teils von den Strapazen gezeichnet, teils vom Geschehen traumatisiert, sind sie nun endlich in Sicherheit." Ihnen zu helfen hat für die gebürtige Ukrainerin in dieser Situation oberste Priorität. Strobel hofft, dass "die liebevollen, lustigen Geschichten, vorgelesen in ihrer Heimatsprache, den geflüchteten Kindern ein Stück weit Geborgenheit spenden, Halt geben und sie von den düsteren Gedanken ablenken. Wenn wir damit die traurigen Kinderaugen zum Leuchten bringen – selbst für die kurze Vorlesezeit –, wäre das schon ein kleiner Sieg des Lichts über die Dunkelheit."

Laut Verlagsleiterin Susanne Krebs wurden für die Aktion Titel gewählt, "die auch ein bisschen ins Grundschulalter hinein wirken können, wie zum Beispiel das Bildwörterbuch von Ingo Siegners 'Kleinem Drachen Kokosnuss', mit dem elementare Begriffe zweisprachig erschlossen werden können". Nun hofft sie, dass die Gratis-Downloads möglichst stark genutzt werden, von allen, die ukrainische Flüchtlingskinder betreuen. Ihrem Verlag bringt das nicht nur ein bisschen Publicity, sondern auch das gute Gefühl, etwas Gutes getan zu haben, "um den vielen ukrainischen Kindern bei uns das Ankommen zu erleichtern, zumindest so, wie wir es halt können: mit Geschichten".