Er ist der Schöpfer von "The Spirit", einer Comicserie mit rund 650 Folgen, die in den 1940er Jahren "eine Art Grundlagenforschung" (Alexander Braun) des Mediums darstellte. Und er gilt als Begründer einer Tradition, die heute mit dem Stichwort "Graphic Novel" verknüpft wird. Als Sohn jüdischer Migranten, dessen Vater das Innere katholischer Kirchen in Wien ausgemalt hatte, bevor er nach New York emigrierte, musste der Comiczeichner Will Eisner (1917-2005) die Auswirkungen des Antisemitismus in seiner Jugend am eigenen Leib erfahren. Erlebnisse und Beobachtungen, die der Autor in den 1920er Jahren in der Bronx gesammelt hatte, durchziehen neben jüdischen Geschichten vom Leben im Schtetl, womit seine Eltern ihn versorgten, sein gesamtes umfangreiches Werk. Im Jahr 2005, kurz vor seinem Tod, beschloss Eisner sein Lebenswerk mit einer Graphic Novel über eines der wichtigsten und infamsten Dokumente des modernen Antisemitismus: "Das Komplott - Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion".
Erstmals erschienen sind "Die Protokolle der Weisen von Zion" 1903. Bereits zu Beginn der 1920er Jahre eindeutig "als Fabrikation und Plagiat entlarvt" (Eva Horn/Michael Hagemeister), wurde das antimodernistische Pamphlet über die jüdische Weltverschwörung aller Fakten zum Trotz erst zu dieser Zeit besonders wirkmächtig. In rechtsextremen und antisemitischen Kreisen wird es bis heute weltweit immer wieder neu aufgelegt oder ins Netz gestellt. Die zum Gerücht gewordene Lüge, schreiben die Wissenschafterinnen Horn und Hagemeister, ist "ein Virus, infektiös, geheimnisvoll und offensichtlich unausrottbar".
Machiavellistische Strategie einer perfiden Welteroberung
Genau diesem Umstand wollte Eisner etwas entgegensetzen. Seinen von der Presse hochgelobten und ebenso erfolgreichen Schwarzweißcomic betrachtete er als Aufklärungsakt in einem populären Medium, das er selbst ein Leben lang ästhetisch weiterentwickelt hatte. Eine zentrale Rolle spielen im Comic Maurice Jolys "Gespräche in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu" (1864), eine der fiktiven Kopiervorlagen des kompilierten Konstrukts.
Rund 60 Prozent des antisemitischen Machwerks stammen aus dieser ursprünglich gegen Napoleon III. gerichteten, demokratiepolitischen Streitschrift, die dessen diktatorischen Regierungsstil offenlegte. In den vorgetäuschten 24 "Protokollen der Weisen von Zion" dagegen ist die kritische Richtung der Vorlage völlig ins Gegenteil verkehrt. Ein nicht näher beschriebener jüdischer Redner entwirft darin eine machiavellistische Strategie einer perfiden Welteroberung, die in trockenen Details von der globalen Kontrolle der Finanzen bis zur totalen Manipulation der Presse ausgebreitet wird.
Abenteuerliche Unwissenschaftlichkeit
In Eisners Graphic Novel treten - in ihrer Zeichnung expressiv überspitzt - auch Auftraggeber und Verfertiger dieses infamen Konstrukts (namentlich Pjotr Ratschkowski und Matwej Golowinski) auf, deren Entlarvung der russische Historiker Michail Lepechin einige Jahre vor Erscheinen des Comics als sensationellen Erfolg gefeiert hatte. Inzwischen sind seine Thesen jedoch selbst widerlegt und als wenig originell entzaubert worden.
Das hat auch dem Zeichner Kritik eingebracht. Michael Hagemeister, einer der kundigsten Forscher zum Thema "Protokolle", der im Anhang zur neuen Ausgabe Eisners Anmerkungen aktualisiert hat, nimmt den Autor allerdings in Schutz gegen die teils abenteuerliche Unwissenschaftlichkeit so mancher Forscher auf Seiten der Gegner der "Protokolle" bis hin zur eigenen Mythenbildung. Zweierlei sei hierzu festgehalten: Unumstößlich nachgewiesen ist, dass die antisemitische Schmähschrift ein reiner Fake ist, ebenso bekannt sind die Verbreiter des Fabrikats, darunter Sergej Nilus aus rechtsradikalen Kreisen im zaristischen Russland, der "Die Protokolle" erstmals im Anhang seines Buches "Das Große im Kleinen" (1903) veröffentlichte. Der oder die Urheber des Pamphlets hingegen konnte(n) bis heute trotz ausgiebiger Nachforschungen nicht ermittelt werden, sicher ist lediglich, dass Spuren nach Russland und Frankreich führen.
Eisners Comic nimmt auch die Geschichte der Verbreitung und Rezeption der "Protokolle" in den Blick. War das antisemitische Schriftstück auf dem Hintergrund der Dreyfus-Affäre entstanden, so hat die Verbreitung doch erst nach ihrer Enthüllung als niederträchtige Hetzschrift einen rasanten Aufschwung erlebt. Im deutschsprachigen Raum erschien sie allein bis 1933 in 33 Auflagen. In den USA war es vor allem Henry Ford, der den Verschwörungstext massenhaft in Umlauf brachte. Es ist jener Ford, der - ironischer Weise - kurz darauf in Aldous Huxleys satirisch-dystopischem Roman "Schöne neue Welt" (1932) selbst als Mastermind einer totalitären, kapitalistischen Weltherrschaft eine zentrale Rolle spielt.
Verschwörer sind resistent gegen Argumentationen
Im Lauf des letzten Jahrhunderts ist das Märchen von der jüdischen Weltverschwörung in alle Winkel der Welt gelangt. Wissenschaftliche Beweise oder Prozesse gegen Publikationen haben nur bescheidene Wirkung gezeitigt. Die Resistenz gegen Argumentationen ist ein "Phänomen des Verschwörungssyndroms", wie es Umberto Eco einmal ausgedrückt hat. Dass das Thema auch gegenwärtig noch keineswegs beigelegt ist, zeigen Hassapostel wie der deutsche AfD-Politiker Wolfgang Gedeon, der in seinen pseudophilosophischen Schriften die "Protokolle" als ernsthafte Quelle bezeichnet, wie Wolfgang Benz in seinem kompakten Bändchen "Die Protokolle der Weisen von Zion - Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung" darstellt.
Eisners vom moralischen Impetus getragener Aufklärungscomic eignet sich bestens als Einstieg in die Materie. Als solchen hat ihn der Autor selbst verstanden, der seine Graphic Novel bereits zur Erstveröffentlichung mit weiterführender Literatur versehen hatte.