Frank ist knapp vierzehn, als sein einundsiebzigjähriger Großvater nach 18 Jahren wegen guter Führung vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird. Die Freude darüber hält sich bei Frank und seiner alleinerziehenden Mutter in Grenzen. Beide haben Angst, dass ihr harmonisches, gut geordnetes Leben nun über den Haufen geworfen wird. Ist dieser Mann - eine rabiate, aber nicht unelegante Erscheinung - tatsächlich so gefährlich, wie ihn seine Verwandten einschätzen, oder werden sich diesbezüglich noch erhellende Erkenntnisse ergeben? Ja, aber andere als erwartet, denn der gefuchste Erzählstratege Köhlmeier legt keine Spur, um diese dann klischeehaft breitzutreten.
Es ist Frank selbst, der die Geschichte dieser Konfrontation erzählt, wobei Köhlmeier große Empathie für die Gefühls- und Vorstellungswelt (vor)pubertierender Jugendlicher beweist: Die Perspektive ist authentisch, die Sprache literarisch elaboriert ans Alter angepasst, aber es handelt sich ja um Literatur.
Männliches Vorbild
Gekonnt hält Köhlmeier die Balance zwischen den emotionalen Polen, denen Frank ausgeliefert ist: Feindseligkeit und Faszination. Zudem lässt er seinen gewieften jungen Erzähler im Unklaren darüber, was der Großvater überhaupt verbrochen hat. Auch Franks Mutter rückt nicht damit heraus. Frank, der die Härte der Existenz bisher hauptsächlich aus Tierfilmen kennt, will es gar nicht so genau wissen - die Leserinnen und Leser jedoch schon, was neben dem bewegten Plot zusätzlich für Spannung sorgt.
Es wird schnell klar, dass hier kein geläuterter Kuschel-Opa Anschluss an eine Familie sucht, sondern ein abgebrühter Ex-Sträfling sein manipulatives Spiel betreibt. Eine große Herausforderung, aber auch eine Versuchung für Frank, der ohne männliches Vorbild aufwächst und dessen beschützte Welt nun arg ins Wanken gerät, wobei die symbiotische Mutter-Sohn-Beziehung bereits durch den neuen Freund der Mutter gefährdet ist. Dieser wird durch das Auftauchen des bedrohlichen Großvaters im wahrsten Sinn des Wortes aus der Schusslinie genommen.

Den Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Großvater und Enkel bestimmt eine geladene Pistole, auch die Dialoge zwischen den beiden klingen wie Duelle. Der Großvater unterstellt Frank gleich zu Beginn, keine Freunde zu haben, weil niemand ihn Frankie nennt. "Ich will nicht, dass jemand Frankie zu mir sagt." - "Ich sags trotzdem. Frankie." Ein Treffer für den Großvater, dem noch weit heftigere folgen, aber auch Frank kann Treffer landen.
Michael Köhlmeiers neuer Roman ist eine kurzweilige, aber ebenso ernsthafte Auseinandersetzung mit männlichen Rollenbildern sowie mit dem Mangel an gesellschaftlichen Inititationsritualen während der Zeit des Erwachsenwerdens. Wenn man bedenkt, dass orientierungslose Jugendliche oft mit Phänomenen wie Koma-Saufen, gefährlichen Autofahrten, Gewalt- und Drogenexzessen sowie Computersucht zu kämpfen haben, könnte so ein hartgesottener Großvater ein starker Reibebaum sein, um die männliche Identität zu entwickeln. Aber auch ein warnendes Beispiel, denn egal ob Frank oder Frankie - letztlich läuft es darauf hinaus, sich für eine Haltung im Leben zu entscheiden.
Allein gelassen
So gereift, diese Entscheidung treffen zu können, ist Frank allerdings noch nicht. Im Glauben, alles im Griff zu haben, aber dennoch heillos überfordert und von den Erwachsenen in dieser entscheidenden Phase weitgehend allein gelassen, experimentiert er mit Verhaltensweisen zwischen Gut und Böse, Warmherzigkeit und Kaltblütigkeit, Macht und Ohnmacht, realen und medialen Vorbildern, konfrontiert mit den erwarteten und unerwarteten Folgen des eigenen Handelns. Mit dabei: die geladene Pistole.
Das kann nicht gutgehen. Oder doch? Verwirrt von der eigenen Courage, stiehlt Frank sich schließlich davon. Und damit leider etwas zu früh auch aus der Vormundschaft des Autors.