Im neuen Buch "Wechselhafte Jahre" (Leykam) hat Schriftstellerin Bettina Balàka Kolleginnen versammelt, die über das Älterwerden schreiben. Eine davon ist Renate Welsh. Gemeinsam sprachen die Autorinnen mit der "Wiener Zeitung" über Persianermäntel, Lebenssinn und gesundheitliche Herausforderungen - und erfüllten so das Cover des Buchs mit Leben: Es stellt ein entspannt-frohes Gespräch zwischen Frauen zweier Generationen dar.
"Wiener Zeitung": Sie sind zwei Frauen aus verschiedenen Generationen, wie hat sich das Altern oder wie damit umgegangen wird, über die Jahre verändert?
Renate Welsh: Also im Grunde genommen bin ich erst durch diesen blöden Schlaganfall (Anm. während der Pandemie) in mein Alter hineingestoßen worden. Ich habe nie zu einer Altersgruppe gehört. Ich hab viel zu früh Kinder gekriegt, ich war immer die jüngste in der Schulklasse, ich hab immer alles zu früh gemacht. Und wenn ich zum Klassentreffen gegangen bin, waren da so gstandene Frauen mit sogenannten Gatten, und Persianermänteln und Kaschmirtwinsets. Da habe ich mich nie zugehörig gefühlt. Ich hab mich den Leuten, die man in der Arena getroffen hat, zugehörig gefühlt. Die Vorstellung, man wird irgendwo eingekastelt, war mir seltsam. Und als die Buben junge Erwachsene waren, hab ich mich viel mit deren Freunden beschäftigt. Ich bin deswegen nicht mit der bauchfreien rosa Bluse gegangen, absolut nicht. Es war einfach kein Thema.
Bettina Balàka: Also ich kann mich erinnern, ich bin ja in Salzburg aufgewachsen, in meiner Kindheit in den 60er, 70er Jahren war es generell so, dass Frauen über 40 als alt galten. Und was du jetzt beschrieben hast mit dem Twinset oder dem Persianer: Man hat das markiert durch Auftreten und Kleidung, dass man jetzt solide und irgendwie geschlechtslos geworden ist. Da hat sich schon sehr viel geändert. Eine Künstlerpersönlichkeit wie du - du warst deiner Zeit immer voraus! Aber gesamtgesellschaftlich denke ich, hat sich das verschoben. Eine 40-Jährige würde man heute überhaupt nicht mehr als alt ansehen, geschweige denn bezeichnen.
Welsh: Ich bin jahrelang nicht zu Klassentreffen gegangen, und dann hat mir eine Schulkollegin gesagt, es tut ihnen so leid, dass ich nie komme, und dann bin ich einmal hingegangen. Und plötzlich sind aus diesen dann auch 50-jährigen "Gattinnen" plötzlich Frauen geworden. Die nicht nur über ihren Mann, ihr Auto und ihr Philharmonikerabo geredet haben. Die hatten auch alle nicht mehr nur Vorzeigekinder und die hat das Leben gebeutelt. Da hab ich mir gedacht, schau, Menschen können sich wirklich ändern, auch saturierte mit kleinbürgerlichem Denken und mittelbürgerlichem Lebensstil. Die waren nicht mehr so konservative "Bessere".
Frauenzeitschriften und Ratgeber werden nicht müde, uns zu erklären, dass Frauen ab 50 ihre beste Zeit haben. Haben die recht?
Balàka: Ich weiß nicht, ob das mit dem Alter zu tun hat, aber ich fühl mich wohler in meiner Haut. Das sagen viele, dass sie sich mit 40 oder 50 wohler fühlen. Die Social Anxiety wird weniger. Ich denke oft an den Spruch von George Bernard Shaw: Die Jugend ist an die jungen Leute verschwendet. Man hat diese körperlichen Möglichkeiten, ist fit und hat aber diese Selbstzweifel. Also das ist bei mir schon besser geworden.
Welsh: Das hängt von so vielen Faktoren ab, von sozioökonomischen Faktoren, das hängt davon ab, wie weit du Sinn siehst in dem, was du tust. Ich hab im Moment ganz stark das Gefühl, dass Frauen irgendwann schrecklich darüber klagen, es hat ja keinen Sinn, was ich tue. Wenn die Aufgaben, mit denen sie gelebt haben, wegfallen, wissen sie plötzlich nicht mehr, wozu sie auf der Welt sind. Plötzlich fällt dieses Korsett weg und dann implodieren sie, wissen mit der Zeitfülle nichts anzufangen und haben dann überhaupt keine Zeit mehr. Die, die es gut packen, sind die, die nach wie vor Aufgaben haben, die kommen gut über die Runden. Die Fähigkeit, etwas zu geben, ist sehr zentral dafür, dass man einen Sinn in seinem Leben findet.
Balàka: Ich bin die Generation, die in den 80er-Jahren studiert hat. Da hat man uns Frauen massiv eingeredet, dass Arbeiten das Wichtigste im Leben einer Frau ist, Karriere, Geld verdienen. Das haben in dem Buch auch viele Frauen geschrieben: Rückblickend denk ich mir, was ist mit Beziehungen, Freundschaften, Familie. Ich bereue manche Stunde, wo ich nicht auf ein Festl gegangen bin, sondern gearbeitet habe.
Welsh: Es ist schon eine Frage von Selbstdefinition, wenn man sich über die Arbeit definiert. Das war einer meiner größten Fehler, dass ich geglaubt habe, ich steh unter Beweisnotstand. Damit kämpf ich heute noch. Ich muss ununterbrochen etwas leisten.
Altern Schriftstellerinnen anders?
Welsh: Die Altersproblematik ist bei mir eine andere, weil ich immer noch eine Anfängerin bin. Das ist der Vorteil von diesem komischen Beruf. Du bist vor jedem neuen Ding, das du schreibst, Anfängerin. Weil du kannst das, was du vorher gemacht hast, nicht als Routine verwenden, im Gegenteil, das ist dir im Weg. Du kannst nur jedes Mal wieder neu anfangen. Meine Zweifel und Unsicherheiten sind möglicherweise das Beste, was ich anzubieten habe.
Balàka: Und wir gehen nicht in Pension. Mit 65 aufhören zu arbeiten - das ist unvorstellbar. Also außer man ist sehr krank.
Welsh: Aber selbst als ich überhaupt keine Worte hatte, hab ich nicht aufgehört, hab gebröselt und versucht. Ich sag immer, beim Schreiben gehts mir ja auch immer schlecht, aber wenn ich nicht schreibe, dann gehts mir noch viel schlechter. (lacht)
Balàka: Das kenn ich absolut. Das sind ja nicht reine Glücksmomente, es ist ein Ringen, Kämpfen, Sich-Quälen. Aber wenn man nicht schreibt, ist es nicht besser.
Welsh: Für die Nächsten und Liebsten ist man so unerträglich, das will man denen nicht antun.
Balàka: Man schreibt ja nur aus Nächstenliebe (beide lachen). In diesen schlauen Büchern zum Altern wird einem ja immer der Ratschlag gegeben, geistig agil bleiben, neugierig bleiben - das braucht man uns nicht sagen. Das ist kaum vorstellbar, dass man sich für nichts mehr interessiert.
Frau Welsh, in Ihrem Text erinnern Sie sich an regelmäßige Treffen mit den anderen Legenden des österreichischen Kinderbuchs, Christine Nöstlinger, Käthe Recheis, Mira Lobe . . .
Balàka: Da wäre ich echt gern Mäuschen gewesen.
Welsh: Das war auch sehr lustig. Wir konnten da auch nächtelang furchtbar streiten. Die Lene Mayer Skumanz und die Friedl Hofbauer waren mehr die Konservativen und die Christine, die Mira und ich, wir waren die Rebellinnen. Das Schönste war, als die "Räuberbraut" von der Mira herausgekommen ist, da hat ein Journalist einen Artikel geschrieben über die Gefahren der Kinderliteratur am Beispiel der Mira Lobe, die die Kinder zum Ungehorsam aufruft. Und die ist dann schuld, wenn die Kinder bei Rot über die Kreuzung gehen und überfahren werden. Die Jungkommunistin Mira Lobe ist schuld daran, dass es so viele Verkehrsunfälle gibt. Die Mira war zu dem Zeitpunkt 75 Jahre alt. Die war so stolz, dass sie eine JUNGkommunistin ist. Das war damals noch wirklich schwierig, in unseren Büchern und Projekten zu zeigen, dass Normalität für jeden anders ausschauen kann. Aber wir haben auch eine Menge Spaß gehabt. Es war nicht bierernst, wir haben nicht im "Kapital" nachgeschaut.
Balàka: Das ist die große Stärke der Literatur dieser Frauen, dass es das Rebellische mit Humor verpackt hat. Das hat es auch für die Eltern erträglicher gemacht. Eigentlich subversiv: Wir sind ja alle nach solchen Lektüren ein bisschen schlimmer geworden.
Wann haben Sie sich denn das erste Mal alt gefühlt, Frau Balàka?
Balàka: Das war relativ früh, als ich Mitte 30 beim Skifahren festgestellt hab, dass ich schneller müde werde. Ich bin ja aus Salzburg, meine Großeltern sind aus dem Lungau, also Skifahren war etwas völlig Normales, das hat man von früh bis spät gemacht, "die Karte ausnützen" hieß es. Und dann kommt der Tag, an dem es mir um 13 Uhr reicht und ich will mich eigentlich ausruhen. Da hab ich mir gedacht: So, jetzt wirst alt.
Wann haben Sie sich zuletzt alt gefühlt, Frau Welsh?
Welsh: Dieser Verlust der Sprache mit dem blöden Schlaganfall, als ich in Italien in der Klinik gelegen bin und nicht reden konnte und dachte, ich werde nie wieder sprechen und schreiben können. Ich habe jetzt das Buch fertig über die Erfahrung. Dieses Gefühl war so schrecklich. Dieses Keine-Zukunft-Sehen. Wahrscheinlich, wie ich darüber lachen konnte, dass der Bub - wie ich im Text beschreibe - zu mir gesagt hat, dass ich ein "verwurltes Gesicht" habe, das war ein Punkt, wo ich aus meinem Loch rausgekrabbelt bin. Weil ich trotz allem meine eigene Verzweiflung komisch finden konnte.
Balàka: Ich bin froh, dass das der Schlusssatz des Buchs ist: "Sprechen können, gehen können macht Freude. Freude will geteilt sein. Jetzt vielleicht mehr als in ruhigeren Zeiten. Verwurlt, aber lebendig." Darauf kommts an, dass man den Humor zurückholt.
Welsh: Ich habe kein großes Talent zum Stolzsein, aber das ist etwas, wo man stolz sein kann. Wenn man im Zweifelsfall sagen kann: Geh bittigoaschön.