Es ist ein durchaus schwieriges Thema, das sich Kiran Millwood Hargrave für ihr neues Buch "Julia und der Hai" vorgenommen hat. Konkret geht es um einen Grönlandhai, der aber eigentlich nur das Vehikel für eine Erzählung über psychische und neurologische Erkrankungen, Freundschaft und Familie ist. Denn Julias Mutter geht im Dienste der Forschung auf Hai-Expedition, weil ja Grönlandhaie bekanntlich uralt werden, quasi dem Altern ein Schnippchen schlagen, und sie erhofft sich davon neue Erkenntnisse für die Demenzforschung.

Bloß, der verdammte Hai taucht nicht auf, und einer fruchtlosen Ausfahrt ins Eismeer folgt die nächste, während Julia mit ihrem Vater auf einem Leuchtturm ausharrt, dessen Beleuchtung er als Ingenieur auf Vordermann bringen soll. Nicht unähnlich Herman Melvilles Captain Ahab verbeißt sich Julias Mutter immer mehr in die verzweifelte Jagd auf das Tier, das fast schon einem Phantom gleicht, nur dass es halt hier nicht um eine Rachetötung geht, sondern rein um die Erforschung eines Faszinosums.

Was Julia nicht weiß: Ihre Mutter ist manisch-depressiv, was ihr Verhalten zum Teil erklärt. Was Julia auch nicht weiß: Wie sie mit der örtlichen Jugend in dem Kaff, in dem sie über die Sommerferien nun gelandet ist, umgehen soll. Einerseits findet sie einen neuen Freund, andererseits verliert sie ihn fast - und weiß nicht, ob es an ihrem eigenen dummen Verhalten oder an seiner Doofheit liegt. Kinderprobleme halt. Was Julia dafür sehr wohl weiß: Ihre Mutter ist auch deshalb so verbissen, weil ihre Großmutter an Demenz litt - das Ganze ist also auch quasi eine Familienangelegenheit.

Die Autorin zeichnet hier einen großen Roman mit einer kleinen Protagonistin, die sich im stürmischen Finale sogar selbst in Gefahr bringt und - hier steht Julias Wahrnehmung im Widerstreit mit der Vernunft - tatsächlich dem gesuchten Hai begegnet. Und zwar auf eine Art, die sie sich nie hätte träumen lassen. Und die auch weder ihr Vater noch ihre Mutter sich gewünscht hätten. Aber die Details sollen sich die Leser selber erschließen. Nur so viel: Hargraves Erzählung ist voller Emotionen, zugleich eine Hommage an die Wissenschaft, an die Schönheit und Verletzlichkeit der Meere und ihrer Bewohner, an die Wildheit der Shetland-Inseln und an den Zusammenhalt, den jede Familie braucht - in guten wie in schlechten Zeiten. Tom de Frestons graue Bilder passen zur letztlich doch recht düsteren, unwirtlichen Grundstimmung der Szenerie auf der Insel.