Dass Europas Migrationspolitik weitgehend gescheitert ist, bestreitet eigentlich kein Mensch mehr, der auch nur einigermaßen bei Sinnen ist. Die Diagnose ist etwa so umstritten wie die Behauptung, der Mond würde um die Erde kreisen.
Wie sehr sie gescheitert ist, was die Ursachen dieses Scheiterns sind und vor allem, was nun zu tun ist, um dieses Problem zu lösen, beschreibt der renommierte Migrationsforscher Ruud Koopmans in seinem neuen Buch "Die Asyl-Lotterie - Eine Bilanz der Flüchtlingspolitik von 2015 bis zum Ukrainekrieg".
Das Thema ist, vor allem im deutschen Sprachraum, vermintes Terrain. Wer die Probleme der Migration klar und ohne Rücksicht auf Verluste benennt, muss stets damit rechnen, im öffentlichen Diskurs ins Lager der Rechtsextremen und der dumpfen Nationalisten gedrängt zu werden. Koopmans ficht das offenkundig wenig an. Gestützt auf jede Menge Zahlen, Fakten und Daten belegt er seine These von einer Migrationspolitik, die Migranten wie die Bewohner der Zielländer von Migration schädigt.
Bankrotte Flüchtlingspolitik
"Die europäische Flüchtlingspolitik ist bankrott. Sie zwingt Menschen, die Schutz suchen, ihr Leben zu riskieren. Seit 2014 starben allein im Mittelmeer über 25.000 Menschen beim Versuch, Europa zu erreichen. Damit ist die Asylmigration nach Europa das Migrationssystem, das am meisten Tote fordert: Von allen migrationsbedingten Todesfällen, die es weltweit seit 2014 gab, entfielen fast 70 Prozent auf die Migration über das Mittelmeer und zu den Kanarischen Inseln sowie auf die Zufahrtsrouten durch die Sahara", hat er berechnet. Zahlen, die es berechtigt scheinen lassen, von einem gescheiterten System zu sprechen.
Einem gescheiterten System auch unter dem Gerechtigkeitsaspekt: "Angesichts der hohen Risiken und Kosten bleiben viele ärmere Menschen, Frauen, Kinder, Alte und Kranke, zurück. Junge, gesunde Männer aus, relativ gesehen, besser situierten Familien haben dagegen die besten Chancen, ein Ticket in der Lotterie, die ,europäisches Asylrecht‘ heißt, zu ergattern."
Eine Lotterie ganz anderer Art sei durch den Zuzug von Asylwerbern mit gewaltbereiten radikalmuslimischen Wertmustern entstanden, argumentiert der Autor, nämlich eine Art Todeslotterie, in der ausgelost wird, wer einem von Migranten verübten Gewaltverbrechen zum Opfer fallen wird.
"Allein in Deutschland wurden zwischen 2017 und 2020 rund 300 Menschen Opfer eines vollendeten und über 1600 eines versuchten Tötungsdelikts - durch Täter, die als Flüchtling eingereist waren. Über 3.000 Frauen fielen im gleichen Zeitraum einer Vergewaltigung durch einen oder mehrere Flüchtlinge zum Opfer", rechnet der Migrationsforscher vor. Das sind Zahlen, die in vielen deutschen und auch österreichischen Medien, wenn überhaupt, dann nur eher zurückhaltend erörtert werden.
Um eine vernünftige Balance zwischen den Bedürfnissen der Schutzsuchenden und den Sicherheitsinteressen der aufnehmenden Bevölkerung zu erreichen, skizziert Koopmans im letzten Abschnitt seines Buches "eine realistische Utopie", wie Migration künftig vernünftig gestaltet werden soll. Im Kern stehen dabei zahlreiche Rücknahmeübereinkommen mit den Herkunftsländern, verbunden mit einer Quote für Arbeitsmigration aus diesen Ländern für Menschen, deren Qualifikationen in Europa gebraucht werden.
Brisanter ist ein anderer Vorschlag des Autors: "Wenn Menschen sich an europäischen Außengrenzen melden, dann haben sie nach internationalen Standards das Recht, Asyl zu beantragen, aber nirgendwo steht geschrieben, dass Flüchtlinge das Recht haben auszusuchen, wo sie Schutz genießen möchten. Wenn man mit Drittstaaten um Europa herum Abkommen schließen kann, dass dort Asylverfahren durchgeführt werden, (...) kann man Asylverfahren in Ländern wie Tunesien durchführen."
Das würde, meint Koopmans, den Migrationsdruck verringern: "Nur sehr wenige Menschen werden sich auf den Weg von der Türkei nach Europa begeben, wenn sie wissen, dass sie zwar Schutz bekommen, aber in Tunesien oder Albanien und nicht in Deutschland oder den Niederlanden. Das schafft die Freiräume, mit denen man großzügige humanitäre Aufnahmen realisieren kann."
All diese Überlegungen sind nicht ganz neu, der Autor fasst das Problem und die Lösungen freilich kompakt, faktenbasiert und ohne jede Polemik so zusammen, dass hier ein Referenzwerk zum unerquicklichen Thema entstanden ist. Jetzt muss die Politik nur noch handeln.