Afrika ist unübersichtlich. Selbst für Afrikaner. Nichts ist in Afrika so, wie es scheint. Ein Faktor, mit dem Joseph Trattner umzugehen weiß, kennt er ihn doch aus seiner Heimatstadt Wien. Er selbst ist etwa durch die ortsübliche akademische Freunderlwirtschaft mit einem erschlichenen Magistertitel zum Grabungsleiter des Judith-Stelenfeldes geworden, eines antiken Friedhofs für die einfache Bevölkerung in Äthiopien nahe der Grenze zu Eritrea. Ein guter Job für einen Hallodri wie ihn. Um die Verlängerungen der Ausgrabungsarbeiten finanziert zu bekommen, muss er die Grabungserfolge - vor allem beim Deutschen Archäologischen Institut in Berlin - deutlich größer darstellen, als sie tatsächlich sind. So anders als in Afrika läuft das hierzulande also nicht.

Die "Wiener Verhältnisse" kennt der 1955 geborene, in München aufgewachsene Matthias Politycki inzwischen recht gut, hat er seinen Hauptwohnsitz doch seit seinem Buch "Abschied von Deutschland" von Hamburg in die Donaumetropole verlegt. Mit seinen Reiseromanen, darunter "Herr der Hörner" (2005), "In 180 Tagen um die Welt" (2008) oder "Samarkand Samarkand" (2013), ist er mittlerweile zu einem der großen Reiseschriftsteller in der Nachfolge von Joseph Conrad oder Ryszard Kapuściński geworden. Nun legt er mit "Alles wird gut. Chronik eines vermeidbaren Todes" einen Afrika-Roman vor.

Fremde Mentalitäten

In dieses Buch stürzt man wie Joseph Trattner in das von der späten Nachmittagssonne ausgeleuchtete Gesicht von Nasedi, genannt Natu. Das Schicksal dieser Frau aus der Ethnie der Suri im Südwesten Äthiopiens ist das Kernstück des Romans. In ihr Dorf Surma Kibish war Trattner gekommen, nachdem sein Schwindel mit den angeblich so bedeutsamen archäologischen Funden aufgeflogen und er zurückbeordert worden war. Vor seinem Abschied aus Afrika sollte Trattner aber noch eine geordnete Übergabe durchführen.

Erst zu diesem Zeitpunkt wird Trattner bewusst, dass er das Land kaum kennt. Deshalb nimmt er das Angebot seines afrikanischen Mitarbeiters Weraxa an, zum Abschluss noch eine Reise in den Südwesten zu machen.

- © Hoffmann und Campe
© Hoffmann und Campe

Im Hinterkopf hat Weraxa dabei, dass sich, da Ministerpräsident Abiy Ahmed wegen der Corona-Krise die Regionalwahlen in Tigray abgesagt hat, dort etwas zusammenbraut und er selbst - halb Amhare, halb Oromo - im Norden nicht mehr sicher ist.

Der Roman spielt also unmittelbar vor dem Bürgerkrieg in Äthiopien und gibt dem Autor die Gelegenheit, uns mit den afrikanischen Denkweisen und Mentalitäten vertraut zu machen. Er tut dies aber nicht auf journalistische, sondern auf literarische Art. Das ist auch die Stärke des Buches. Alle Informationen - und davon fließen jede Menge ein - sind eingebettet in Geschichten.

Der von seinen Anfängen her experimentelle Autor Matthias Politycki hat sich zum großen, geradezu klassischen Erzähler weiterentwickelt. Wie in den großen Romanen der Weltliteratur sind auch in "Alles wird gut" die vielen Geschichten des Romans so organisch ineinander verwoben, dass unbemerkt bleibt, wie planvoll das Buch gebaut ist. Nichts wirkt gekünstelt oder konstruiert.

Der Hauptstrang schildert die Reise Trattners durch das Land der Suri mit seinen zwei Mitarbeitern Weraxa und Mulugeta. In Surma Kibish erlebt Trattner dann einen emanzipatorischen Auftritt Natus mit, bei dem sie den Dorfältesten beleidigt und nach alter Sitte dafür gezüchtigt wird. Danach schließt sich Natu, bei deren Anblick Trattner das Herz ausgesetzt hat, den drei Männern an.

Daraus entwickelt sich naturgemäß eine vergleichsweise keusche Liebesgeschichte, die Trattner verwandelt und seine westliche Weltsicht in Frage stellt. Er weiß nicht, wie er der afrikanischen Frau seine Liebe gestehen beziehungsweise zeigen soll. Die Mentalitätsunterschiede zwischen den beiden sind dadurch verschärft, dass sie zur Verständigung Weraxa als Dolmetscher brauchen. Dabei ist für beide ungewiss, was der übersetzt, besonders als Natu eines Nachts ihre Lebensgeschichte erzählt.

Kulturkonflikte

Damit endet der Roman selbstverständlich nicht, aber an dieser Stelle kann man einen Cliffhanger setzen. Denn es ist eine Menge großer Themen, die Matthias Politycki in dem Buch verhandelt. Eines der wichtigsten: der clash of civilizations. Vielleicht, so fragt sich Trattner einmal, wäre es gegenüber anderen Kulturen respektvoller, so aufzutreten, wie es dort erwartet wird, anstatt in kolonialistischer Manier "Überzeugungen aus westlichen Metropolen in ein Dorf am Rande des Omo-Tals importieren zu wollen".

Eine andere Frage, die sich Trattner stellt, ist: Wann ist ein Mann ein Mann? Vor seiner Begegnung mit Natu hat er sich beziehungsmäßig durchlaviert. Nun fragt er sich erstmals, ob es nicht darum ginge, "sich für eine Sache zu entscheiden und auch dafür zu kämpfen". Auf Natu wirkt er nämlich unentschlossen, weshalb sie in ihr Dorf zurückkehrt - und der Roman eine unerwartete Wendung nimmt.

Dass der "Beute-Österreicher" Politycki nebenbei treffsicher das alpenländische Schlawinertum ironisiert, ist nur einer von mehreren Nebenaspekten dieses gehaltvollen Romans.