Schriftstellerin Jasmin Schreiber ("Marianengraben", "Der Mauersegler") ist studierte Biologin und dreht seit frühester Kindheit jeden Stein um. Nun hat sie ein - selbst illustriertes - "Naturarium" herausgebracht (Eichborn). Mit diesem Lesebuch, das wie ein Jahrbuch durch die Monate zieht, will sie Menschen "dafür begeistern, dass Natur nicht nur in tollen Netflix-Dokus, sondern auch im Moos auf der Mülltonne spektakulär sein kann".
"Wiener Zeitung": Worauf freuen Sie sich immer am meisten, jetzt zu Ostern, wenn es Frühling wird?
Jasmin Schreiber: Ich freu mich immer total, wenn der Lerchensporn blüht. Das ist so eine kleine Pflanze mit lilafarbenen Glöckchen. Die findet man an Flüssen, und gestern war alles voll, da wusste ich, jetzt geht es los.

Apropos Ostern: In Ihrem Buch lernt man auch, dass Feldhäsinnen recht toughe Ladys sind . . .
Die können ja quasi dauerschwanger sein, dadurch dass sie verschieden alte Föten von verschiedenen Vätern im Bauch tragen. Und dann sind die auch sehr resolut: Man sieht ja oft auf Feldern Hasen kämpfen. Da denkt man, das werden Männchen sein, die um die Häsin streiten. Aber manchmal macht die Häsin mit! Dauerschwanger, aber trotzdem kungfu-mäßig drauf, das ist krass.
Ein neuer Trend bei Naturdokus scheint zu sein, dass nicht mehr gezeigt wird, dass Tiere andere Tiere fressen. Was sagen Sie dazu?
Ich kenne noch die Dokus aus meiner Kindheit, da hat man noch gesehen wie der Löwe die Gazelle und so... Als Kind hab ich da natürlich immer geweint, da will man, dass alle Tiere sich liebhaben. Aber irgendwie ist das jetzt übergeschwappt auf die Erwachsenen: Wir möchten, dass die Natur ein zartes, unschuldiges Zauberwesen ist, in dem sich unsere Moralvorstellungen von Böse und Gut widerspiegeln. Das gibts aber gar nicht in der Natur. Ich finde das extrem kritisch. Das ist so ein bisschen der Zeitgeist: Wir wollen alles so schön perfekt inszeniert haben. Am liebsten würde man einen Instagramfilter über das ganze Leben legen - und auch über die Naturkreisläufe, die aber eben nicht so poliert sind.
Sie sind studierte Biologin, hat die Faszination für die Natur schon in der Kindheit angefangen?
Als Kind war das schon exzessiv bei mir. Ich bin in den 80ern geboren, wir waren immer draußen, haben Würmer ausgebuddelt. Wir hatten recht wenig Geld, als ich aufgewachsen bin, und wir hatten einen Schrebergarten, da haben wir unser gesamtes Obst und Gemüse angebaut, im Supermarkt war es uns zu teuer. Meine Mutter hat auch alles Mögliche gezüchtet, nie Samen gekauft, alles selber gesammelt.
Sie haben ein besonderes Faible für Asseln...
Schon als Kind fand ich Kellerasseln total toll. Ich hab mir aus einem 5-Liter-Einmachglas ein Terrarium gebaut und habe die da drin gehalten. Für meine Eltern war das natürlich anstrengend, dass ich immer irgendwelche Viecher - auch heimlich - nach Hause geschleppt habe. Jetzt als Erwachsene hab ich Terrarien, in denen ich Asseln halte. Das ist spannend, die zu beobachten: Die haben 14 Füße, das muss man auch erstmal koordiniert kriegen, das macht so einen schaukelnden Trippelgang, der sieht wahnsinnig niedlich aus. Dann betrillern sie sich die ganze Zeit. Manchmal streiten die sich auch um ein Stück Salat. Das ist auch egal, wenn nebenan ein riesiger Berg Salat ist, die wollen das eine Stück, und zwar alle. Wenn sie sich häuten, sieht das auch immer lustig aus, meistens streifen sie erst die untere Hälfte ab, das sieht aus, als hätten sie die Hose ausgezogen.
Sie schreiben, es ist ein Missverständnis, dass man der Natur Gutes tut, wenn man ein Bienenvolk aufs Dach stellt.
Die Leute, die das machen, wollen ja das Richtige tun, die beziehen sich aufs Bienensterben. Aber das gibt es gar nicht. Da lacht einen jede Schnecke aus. Es gibt viel eher ein Weichtiersterben, da sind schon 80 Prozent der Arten über den Jordan gegangen. Die Honigbiene ist ein landwirtschaftliches Nutztier. Das ist ja keine natürlich vorkommende Art, das sind gezüchtete "Superwaffen". Die entwickeln ein Volk mit 50.000 Bienen, und wenn man so viele Bienen ausschickt, vor allem in der Stadt, wo es eine begrünte Verkehrsinsel gibt: Wie soll sich eine einzelne Wildbiene mit ihren sechs Kindern gegen diese 50.000 durchsetzen. Die Honigbienen können alle Pflanzen fressen und bestäuben, die meisten Wildbienen sind jedoch spezialisiert auf eine Sorte. Die Honigbienen können bei jedem Wetter fliegen, so eine kleine Sandbiene, die zwei Millimeter groß ist, da kommt eine Windböe und sie ist weg. Nicht nur Wildbienen, auch Käfer und Schmetterlinge, die haben echt Probleme, wenn man so viele Honigbienen aufstellt.
Was kann man also tun, um Wildbienen und Co wirklich zu unterstützen?
Wildblumen anzusetzen ist schon gut, aber hübsche Blüten reichen nicht. Die müssen auch wo wohnen. Die meisten Bienenarten bauen in Böden, aber es gibt nicht mehr viele freie Flächen. Wenn man einen Garten hat und da steht ein alter Baumstamm, man denkt sich, der ist schiach, der muss weg - lieber stehen lassen. Auch Reisighaufen, Totholz.
Sie beschreiben, dass es im Garten nicht viel braucht, um Insekten Unterschlupf zu bieten, etwa Scherben von kaputten Blumentöpfen.
Oft sieht man so DIY-Projekte auf Instagram, die sind irrsinnig aufwendig. Ich mag es, wenn man nichts Spezielles kaufen muss, das konnte ich als Kind auch nicht. Das ist mein Anspruch, das so niederschwellig zu machen. Dazu kommt: Ich lebe ja auch mit Depression, und ich weiß, wie schwierig es manchmal ist, den Anfang zu finden und rauszugehen. Da braucht es Projekte, die kein Megaaufwand sind, wo man nicht zum Baumarkt fahren muss, erst mal 200 Euro ausgibt und dann 16 Stunden beschäftigt ist.
Wildblumensamen-Mischungen sehen Sie auch skeptisch . . .
Ich vergleich das gern: Du kaufst das im Baumarkt, streust das aus und hast keine Ahnung, was drin ist. Man geht ja auch nicht in die Apotheke und sagt: "Ich nehm einmal die gemischte Tüte", und schmeißt 50 Tabletten ein, ohne zu wissen, was das ist. Macht niemand, ist ja irre. Immer wenn man Wildblumen pflanzen will, sollte man schauen, ob es heimisches Saatgut ist.
Sie unterscheiden zwischen Biodiversität und Artenvielfalt - warum ist das wichtig?
Bei Biodiversität geht es viel um Genetik. Man sieht das bei einer Blumenwiese: Da sind ultraviele bunte Blüten, man denkt sich, Wahnsinn, diese Artenvielfalt. Aber: Das sind vielleicht viele Arten, aber genetisch sind es Arten, die alle miteinander verwandt sind. Also ein ganzes Konzert voller Leute, aber dann sind das alles Cousins und Cousinen - da würd ich jetzt auch nicht querheiraten. Diese genetische Diversität ist so wichtig, weil wenn man zwar verschiedene Arten hat, die aber in einer genetischen Sackgasse stecken, dann werden die schwach und sterben irgendwann aus. Es ist auch für den Lebensraum wichtig, wenn es genetisch verschiedene Arten gibt, weil wenn irgendwann etwas passiert, eine Flut etwa, dann hast du welche, die können mit dem nassen Boden gut umgehen, die bleiben bestehen, die anderen nicht. Es ist wichtig, dass zumindest eine Art dabei ist, die eine besondere Fähigkeit hat, um zu überleben.
Kürzlich las ich den Rat, wenn man seine Zimmerpflanzen betrachtet wie Haustiere, dann fällt es einem auch leichter, die zu pflegen. Wäre das auch ein Zugang für die "Draußen-Natur"?
Ich war ja als Kind auch mit einer Birke befreundet. Man muss verstehen, dass die Pflanzen Lebewesen sind genau wie Tiere, die laufen nur nicht herum. Wir Menschen tendieren dazu, wenn etwas stillsteht, dann ist es Deko. Die Natur ist keine Fototapete für Instagram. Man muss kapieren, dass das Lebewesen sind, die auch in Beziehung mit allen anderen Lebewesen stehen, auch mit uns. Es ist ja so, wenn es wirklich mal schlimm wird mit dem Klimawandel: Der Erde ist das scheißegal. Die würde auch 100 Jahre Feuersturm aushalten. In ein paar Millionen Jahren gibt es dann halt wieder die ersten Tiere. Wir Menschen sind die, die vulnerabel sind. Darum geht es auch beim Klimawandel: Menschen können auch aussterben. Es ist nicht so, dass wir eine Superkraft hätten im Vergleich zu anderen Tieren. Das haben wir nicht auf dem Schirm. Wir sind Teil der Natur. Aber die Natur kann wahnsinnig gut ohne uns. Wir aber nicht ohne sie.
Jasmin Schreiber: "Schreibers Naturarium" (Eichborn)