Im Reich von Manuel Bitterer lebt die Queen noch und lüftet gerade "ein dunkles Familiengeheimnis". Prinz Charles verzichtet ein paar Monate später auf den Thron, weil seine Camilla "unheilbar krank" ist. Die Schlagzeilen der "Neuen Post" aus dem September 2020 und dem Februar 2021 waren schon damals gelogen. Heute wirken die bunten Klatschblätter, als seien sie aus der Zeit gefallen - wie der ganze Laden, hinter dessen Tresen sich Manuel Bitterer wochenweise mit seinem Bruder Andreas ablöst. "Romantausch" steht auf dem Schild über dem Schaufenster am Kagraner Platz.

Vor 39 Jahren ist Manuel Bitterer ins Geschäft mit den Heften und Büchern eingestiegen. Da war die Firma, 1979 von einem Vater und seinem Bruder gegründet, schon fünf Jahre alt. "In etwa sechs Jahren werde ich den Laden zusperren. Dann habe ich 50 Jahre gearbeitet. Das reicht mir", sagt der 59-Jährige. Wobei das sein Plan ist. Es gebe da noch eine Unbekannte: "Gehe ich in Pension oder sterben mir vorher die Kunden weg? Das ist die Frage", ergänzt Bitterer und schaut sich in seinem kleinen Reich um. "Vielleicht können wir etwas davon verkaufen. Sonst wird das alles hier zu Altpapier", sagt er.

Liebesromane sind der Renner

"Das alles hier" sind hunderte von Büchern, Romanhefte, Comics und Illustrierten. Das Geschäft damit läuft so: Man kann den Lesestoff für kleines Geld kaufen und dann beliebig oft tauschen. Die Kundinnen und Kunden bringen gelesene Hefte und Bücher zurück und bekommen neue dafür. 40 Cent kostet das pro Heft, 50 Cent bis einen Euro pro Buch. Die Familie hat einen zweiten solchen Laden in der Viktoriagasse im 15. Bezirk. Manuel Bitterer wechselt sich mit seinem Bruder Andreas ab. Beide wohnen sie im 22. Bezirk, also nicht weit vom Kagraner Platz entfernt. Im Wochenwechsel muss also jeder von ihnen mal den weiteren Weg zur Arbeit antreten.

Die "Neue Post" von 2020 mit bewährt erfundenen Schlagzeilen, für manche immer noch aktuell. 
- © Martin Rolshausen

Die "Neue Post" von 2020 mit bewährt erfundenen Schlagzeilen, für manche immer noch aktuell.

- © Martin Rolshausen

Im 15. Bezirk habe man auch die "Weltbestseller". Für die sei in den Kagraner Räumlichkeiten kein Platz. Beliebt sind in dem Laden, der auch Pakete annimmt und Lotto-Lose verkauft, Liebesromane - "gefolgt von Western und Krimis", erklärt Manuel Bitterer. "Weil ich dich nie vergessen hab’", "Leidenschaftliches Wiedersehen in Sydney", "Prickelnde Nächte mit dem griechischen Milliardär", "Auf der Jacht der Leidenschaft" oder "Sein schönster Sieg" titeln die Liebesromane. Westernfreunde begleiten den "Mann aus Cheyenne" auf seinen Abenteuern. Bei den Verbrechens-Begeisterten sind unter anderem "Kommissar Wiltons Kriminalberichte" beliebt. Die sind, wie auf dem Titelblatt versprochen wird, "spannend wie immer". Und die Reihe ist die einzige dieser Art, "die in Österreich hergestellt wird", sagt Bitterer. Alle anderen Heftreihen kommen aus Deutschland.

Teilweise sind diese Heftchen mehrere Jahrzehnte alt. Die Kundschaft stört das nicht. Die Mehrzahl seiner Kunden sei "so Mitte 80", sagt er. Einige von ihnen schaffen ein bis zwei Romane pro Tag, weiß er. "Es gibt Leute, die kommen einmal in der Woche, manche zweimal im Jahr, dann aber mit 50 oder 100 Heften. Wenn man so einen Kunden hat, dann ist der Tag gerettet", erzählt Bitterer. Aber die Kundschaft sterbe eben aus. Er und sein Bruder, erklärt Manuel Bitterer können nur noch leben, weil die Konkurrenz zugesperrt hat. Eine Handvoll solcher Läden gebe es höchstens noch in Wien. Früher seien es weit über 100 gewesen.

Fachmagazine gehen gar nicht mehr

Früher kamen aber auch noch Kinder und Jugendliche in die Läden. In den 80er Jahren, erinnert sich Manuel Bitterer, "haben die Kinder noch mehr gelesen". Um zwei Uhr nach der Schule hatte er "den Laden voller Kinder". Vor allem Comic-Hefte haben die getauscht, "Fix und Foxi" zum Beispiel sei sehr beliebt gewesen. Die Schülerinnen und Schüler haben sich aber auch Geo-Fachmagazine mitgenommen, um mit deren Hilfe Referate für den Unterricht vorzubereiten. Nicht nur bei den Kindern sind Fachzeitschriften aber aus der Mode gekommen. Vor allem Männer haben früher Auto- oder Computermagazine gelesen. So etwas geht heute gar nicht mehr. "Das kann man heute alles im Internet nachlesen. Und Fachbücher veralten sehr schnell", sagt Bitterer.

Kommissar Wilton ermittelt auch wiederholt bei Bitterers Kunden. Es ist die einzige Heftchenserie, die in Österreich produziert wird. 
- © Martin Rolshausen

Kommissar Wilton ermittelt auch wiederholt bei Bitterers Kunden. Es ist die einzige Heftchenserie, die in Österreich produziert wird.

- © Martin Rolshausen

Und dann gibt es die Hefte, erzählt der Romantauscher, die "eine Randsache sind, aber immer schon eine Randsache waren: Gruselgeschichten". Konsalik und Simmel, einst beliebte Autoren, haben sich dagegen von einem Erfolgsprodukt auf das Niveau der Gruselgeschichten begeben - was die Tauschzahlen angeht, sagt Bitterer. Er selbst hat sicher weit über 1.000 Bücher gelesen, meint er. "An jedes kann ich mich nicht mehr erinnern." Er sei da sicher immer jemand gewesen, der überdurchschnittlich viel gelesen hat, habe aber "gehofft, das meine Generation anfängt zu lesen, wenn sie älter wird".

Der Wunsch hat sich nicht erfüllt. "Die sind alle irgendwie anderweitig beschäftigt", vermutet er. Was Manuel Bitterer sicher weiß: Die Zeit seiner Branche läuft ab. Wenn er und sein Bruder in einigen Jahren absperren, könnte damit das letzte Kapitel der Wiener Romantausch-Geschichte beendet sein.