
Fast zwei Drittel der österreichischen Anwälte wurden im Jahr 1938 von den Nazis mit einem Berufsverbot belegt. 1914 waren es in absoluten Zahlen. 1830 davon wurden aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgt, 67 Anwälte aus politischen Gründen, 17 aus anderen Gründen, wie zum Beispiel Widerstand oder Homosexualität.
Die Biographien dieser vertriebenen österreichischen Advokaten wurden nun im Auftrag der Rechtsanwaltskammer in dem Buch "Advokaten 1938" historisch aufgearbeitet. In aufwendiger Detailarbeit hat die Hauptautorin Barbara Sauer die Einzelschicksale der verfolgten Rechtsanwälte recherchiert und zusammengefasst. Mitautorin Ilse Reiter-Zatloukal erklärt unterdessen die Hintergründe und den Ausgangspunkt der Advokaten-Verfolgung.
Besonders gravierend war diese in der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland: Hatte sie zum Zeitpunkt des "Anschlusses" noch 2541 Mitglieder, waren es Ende 1938 nur noch 771.
Eigener Stempel: "Gelöscht"
Aufgrund der zahlreichen Löschungen ließ man dort gar einen eigenen Stempel mit der Aufschrift "Gelöscht" anfertigen, der nun auf der neuen Publikation abgebildet ist. Mit diesem wurden die bis heute erhaltenen Rechtsanwaltslisten versehen, die auch den Ausgangspunkt für die Recherche bildeten.
Von den ins Exil geflüchteten Anwälten konnten nur wenige wieder Fuß fassen: Marzell Glesinger etwa, der 1939 mit seiner Familie über Deutschland und Holland nach Israel emigrierte, fand nie wieder zu sich selbst. Er arbeitete im Straßenbau, als Lastenträger und Nachtwächter. Die hebräische Sprache lernte er bis zu seinem Tod nicht - auch mit der Kultur in Israel kam er nicht zurecht. Die wirtschaftliche Lage der Familie war schlecht, oft gab es nicht genug zu essen. "Niemals wieder werden meine Füße österreichischen Boden betreten", soll er zu seinem Sohn gesagt haben.
"Für sehr wenig Geld sehr viel arbeiten" musste in der Emigration auch Marianne Beth, die zuletzt in leitender Funktion in einem US-Übersetzungsbüro arbeitete. Als erste Rechtsanwältin in Österreich - und gleichzeitig erste Absolventin eines Jusstudiums - wurde auch die Tochter einer jüdischen Wiener Anwaltsfamilie im Jahr 1938 mit einem Berufsverbot belegt. Auch vor dem seit 1932 im Amt befindlichen Präsidenten der Wiener Rechtsanwaltskammer, Siegfried Kantor, machte die Verfolgung nicht Halt. Nach drei Monaten Gestapo-Haft gelang ihm die Flucht nach Frankreich, von wo er weiter in die USA emigrierte. 1957 verstarb er dort.
Wenige fassten Fuß im Exil
Den Rechtsanwaltsberuf auch in der Emigration erfolgreich weiter ausüben konnte allerdings Abraham Groß. Nachdem er 1938 noch vorwiegend jüdische Klientel bei Zwangsverkäufen oder gegenüber Behörden in den Verhandlungen zur Entlassung aus einem KZ vertreten hatte, wurde er schließlich selbst von der Gestapo für einige Wochen verhaftet. Mit Hilfe seiner zionistischen Beziehungen erhielt die Familie Zertifikate zur Einwanderung nach Palästina - 1939 erreichte sie Haifa. Trotz der hohen Zugangshürden zu juristischen Berufen schaffte es Groß, dort die Anwaltslizenz zu erwerben und wieder eine eigene erfolgreiche Praxis zu führen.
249 der vertriebenen Anwälte kehrten nach Kriegsende nach Österreich zurück. Widerstand der Kammern gegen die "Arisierungen" ist nicht dokumentiert, allerdings wurden zahlreiche Akte aus dieser Zeit vernichtet.
Barbara Sauer / Ilse Reiter-Zatloukal: Advokaten 1938", Manz, 386 Seiten, 39 Euro