Schreiben. Am Puls der Zeit. Das ist offenkundig eine Ambition von Marlene Streeruwitz. In ihrem neuen Buch, "Die Schmerzmacherin.", mit dem sie sich nach dreijähriger Roman-Pause wieder zu Wort meldet, lässt sie gezielt Zeitkolorit einfließen: Der Name Dominique Strauss-Kahn taucht als Kürzel für männliches Machtbewusstsein auf. Und die Katastrophe von Fukushima, das Großereignis des Jahres 2011, fehlt genauso wenig, um anzuzeigen, dass es Streeruwitz darum geht, die Geschichte ihrer Heldin vor dem politisch-gesellschaftlichen Horizont des Hier und Jetzt zu verorten.

Auch die historische Erblast Österreichs durch die Verwicklungen in den Nationalsozialismus ist präsent: auf subtile Weise benutzt der Roman eine Restitutionsklage im Zusammenhang mit der "Arisierung" von Kunstwerken als - einen - Motor der Handlung.

Das Buch greift also über Österreich hinaus und spielt zum Teil in Nottingham und London, wo eine Verwandte der Heldin lebt. Fast wie im richtigen Leben: Sie "lebt in Wien, Berlin, London und New York", verkündet Streeruwitz auf ihrer Website. Eine internationale Künstlerexistenz. Anglophoner Kosmopolitismus statt österreichischem Provinztum. Entsprechend findet man, wie in ihren letzten Büchern, auch in diesem zahlreiche Dialoge in Englisch, der lingua franca unseres multi-nationalen Kapitalismus.

Im Gegensatz zu ihren früheren Texten halten sich im neuen Streeruwitz’ Verwechslungen von britischem und amerikanischem Englisch aber in Grenzen. Und die diversen Germanizismen in Stil und Grammatik erklären sich authentisch aus der fehlerhaften Beherrschung des Englischen durch die Figuren.

Die Protagonistin Amy, die man daheim in Stockerau Mali ruft und die in Wirklichkeit Amalia Schreiber heißt, arbeitet für einen jener multinationalen Konzerne, in deren Existenz sich die Malaise unserer globalisierten Gegenwart ausdrückt. Amy ist wie alle Streeruwitz-Figuren eine zerrissene Frau, ein Opfer, wobei es in "Die Schmerzmacherin." weniger die Männer als die Zustände sind, an denen sie leidet. Blickt man zurück auf das Prosa-uvre von Streeruwitz, beschleicht einen das Gefühl, die Autorin setze etwas zu stark auf die Schwarz-Weiß-Malerei der Geschlechterverhältnisse, was in "Kreuzungen" (2008) im radikalen Kurswechsel der erstmaligen Einführung eines männlichen Protagonisten resultierte.

Während ihr letzter Roman eine ziemliche literarische Katastrophe darstellt, ist das neue Buch ein äußerst gelungenes Erzählwerk. Formal verzichtet Streeruwitz auf allzu exzessiven Einsatz ihres Stakkato-Stils. Die Autorin entwickelt eine spannende, interessant konstruierte Handlung, die neben ruhigen, erzählerischen Passagen auch spektakuläre Abschnitte enthält - etwa über die psychologischen Trainings, die Amy im Rahmen ihrer Anstellung bei einer privaten Sicherheitsfirma zu absolvieren hat. Gerade in diesen Kapiteln ist Streeruwitz punktgenau: Die meisterhaften Schilderungen aus der Perspektive der Protagonistin machen begreifbar, dass die brutalen Verhörmethoden in US-Geheimgefängnissen nur eine extreme Ausformung dessen sind, was heute zum Grundbestand des Aushorchens von Jobbewerbern bei Vorstellungsgesprächen gehört.

Doch das ist nur eine von vielen Einsichten, die dieser Roman ermöglicht. Streeruwitz zeigt sich auf der Höhe ihres literarischen Könnens, indem sie vorführt, was den meisten Gegenwartsautoren misslingt: den Puls der Zeit in Literatur zu überführen.

Marlene Streeruwitz: Die Schmerzmacherin. Roman. S. Fischer, Frankfurt/M. 2011, 400 Seiten, 20,60 Euro.