Bettina Balàka. - © Foto: Marko Lipuš
Bettina Balàka. - © Foto: Marko Lipuš

Ausschweifendes, lustvolles Erzählen, das Beschreiten zahlreicher Umwege wie auch insbesondere das Verweilen an Orten, wo augenfällig gerade nichts geschieht: Solche Ingre-dienzien passen so gar nicht in das plot- und zielorientierte Schema, das heutzutage Romane nach spätestens hundertfünfzig Seiten zum Erliegen bringt. Die 1966 in Salzburg geborene Schriftstellerin Bettina Balàka agiert anders: Sie entführt den Leser nach Venedig, in jene Stadt, von der jeder alles zu wissen glaubt, setzt ihm als Protagonistin die verwitwete Mittvierzigerin Judit Kalman vor, der es weder an Geld noch Geist mangelt - und lässt es erst einmal regnen, mitten im Juli.

Die Protagonistin hat sich an die Fersen von Markus Bachgraben geheftet. Bachgraben ist Schriftsteller, feierte mit seinem Roman "Kassiopeia" einen großen Erfolg, doch das liegt schon ein Weilchen zurück. Judit weiß um die prekäre finanzielle Lage Bachgrabens, eigentlich weiß sie so ziemlich alles über den jungen Autor, mit dem sie auch schon das Bett teilte, dessen Briefkasten in Wien sie einst regelmäßig leerte (und jeweils unbemerkt wieder füllte), dessen Mutter sie in Salzburg aushorchte - denn Judit hat sich in den Kopf gesetzt, der Liebe ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Und nun steht sie selbst in Venedig, wo sich Bachgraben als Stipendiat kürzlich einquartiert hat, und überlegt, wie sich eine erste "zufällige" Begegnung am besten arrangieren ließe.

Freilich richten sich die Welt und auch die Menschen in Venedig nicht widerstandslos nach Judits Vorstellungen: Gegen ihren Willen muss sie die Wohnung mit Freundin Erika teilen, und ihre Zielperson, der scheinbar nichts ahnende Markus, entwischt ihr, kaum dass sie ihn sicher in ihren Fängen glaubt. Die Turbulenzen in der Lagunenstadt wie auch die Vorgeschichten der Haupt- und Nebenfiguren eröffnen ein Panorama, in dem man sich verlieren könnte, würde nicht an jedem Nebenschauplatz wieder ein Mosaiksteinchen leuchten, das zum ganzen Bild gehört. Bettina Balàka setzt eine Erzählstimme ein, die zwar auf Augenhöhe Judits erzählt, doch stets einen gewissen Abstand zu den Figuren wahrt, und das konsequent durch alle dreißig Kapitel hindurch.

Erzählperspektive, Verstrickungen und Detailtreue gemahnen an den Bauplan bürgerlicher Romane des 19. Jahrhunderts. Adalbert Stifter hat wohl nicht zufällig für das Motto von "Kassiopeia" Pate gestanden: "Wie der Mensch doch selber arbeitet, dass das vor ihm Gewesene versinke, und wie er wieder mit seltsamer Liebe am Versinkenden hängt, das nichts anderes ist, als der Wegwurf vergangener Jahre."