Alfred Komarek hat sich in seinen Romanen und Landschaftsbänden stets als Kenner österreichischer Lebenswelten erwiesen. Man könnte getrost auch seine Krimis um den Weinviertler Polizeibeamten Simon Polt oder die Erlebnisse des Daniel Käfer im Ausseer Land unter dem Überbegriff "Österreich von innen" zusammenfassen.

Aber nein, es soll kein neuer Roman sein, zumindest auf längere Sicht nicht, weil "das zu viel Arbeit ist", erklärt der Autor. Als "Kampfschrift für die Regionalität" möchte er sein neues Projekt verstanden wissen, solange es Regionen überhaupt noch gibt, weil die Mobilität Grenzen und Unterschiede doch sehr stark verschwimmen lässt.
Wiener Journal: Herr Komarek, wie kam es zu Ihrer neuen Buchreihe "Österreich von innen"?
Alfred Komarek: "Österreich von innen" heißt es deshalb, weil ich vom Detail aufs Ganze schließen möchte, von der Region aufs gesamte Österreich. Der Semmering ist wie ein Hohlspiegel für Österreich. Landschaftlich gibts dort alles außer Seen. Von der Entwicklung her ist es sowohl ein bäuerliches Land als auch ein Industriegebiet und auch ein Sommerfrischegebiet, ein Stadterweiterungsgebiet, wenn man so will. Viele gesellschaftliche Entwicklungen verdichten sich dort. Der Semmering ist als Passstraße zwischen dem Süden und dem Norden Handelsbarriere und Verbindungsweg in einem. Es kommen viele österreichische Themen zusammen. Fremdenverkehrstechnisch gesehen war die Südbahngesellschaft zu ihrer Glanzzeit ein hochmodernes Touristikunternehmen, das entlang der Südbahn Fremdenverkehrsinfrastruktur geschaffen hat, die heute noch funktioniert.
Nur am Semmering nicht.
Der Semmering hatte immer ein Riesenproblem. Die Katastrophe und das Wunder lagen stets nah beieinander. Der Semmering hat als Kunstprojekt begonnen. Die ersten Villenbauten, die auf einen Maler zurückgehen, spiegelten dessen Vorstellungen von einer heilen Welt, die mit der Realität nicht viel zu tun hatten. Dann kamen sofort die Geschäftemacher, und mit der Träumerei wars vorbei. Die Südbahngesellschaft hat entdeckt, dass es sehr wohl eine Sehnsucht gibt, weil Wien war damals laut, dreckig und gefährlich. Am Semmering war es sauber, gesund und pittoresk. Da konnte man sich gesellschaftlich präsentieren. Das Modell hat eine Zeit lang fantastisch funktioniert. Sogar nach dem Zerbrechen der Monarchie und noch in der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren. Den Rest hat der Zweite Weltkrieg dem Semmering gegeben. Die Region war russische Besatzungszone, es wurde geplündert und zerstört, es gab weniger als gar nichts. Erst in den 60er Jahren begann zaghaft der Wiederaufbau und wenn man diesen furchtbaren Start betrachtet, läufts gar nicht so schlecht. Viele Villen werden renoviert, Künstler wie der Attersee wohnen hier. Durch den Semmering-Basistunnel kann nun endlich auch das Unesco-Erbe der Semmeringbahn museal genutzt werden. Es war immer eine Achterbahn am Semmering. Aber die die Region lieben, kämpfen wie die Löwen dafür.
Muss man sich Heimat erarbeiten?
Ich würds nicht arbeiten nennen, aber erwerben schon. So wie Goethe gesagt hat: "Was du ererbt hast von deinen Vätern erwirb es Dir, um es zu besitzen." So meine ich es. Man muss sich schon reinknien, und man muss aufrichtig, ohne hochnäsig zu sein, versuchen zu verstehen. Und das geht nicht ohne Menschen. Ich muss reden, zuhören, Menschen kennenlernen, Witterung aufnehmen, versuchen die Füße auf den Boden zu kriegen. Ich kann mir dann schon eine eigene Meinung bilden, das schließt auch Kritik nicht aus. Das Schlimmste aber wäre mit einer eingebildeten Kennerschaft hinzukommen. Man muss schon einen Dialog führen.
Vieles, was Sie über die Regionen Österreichs erzählen, ist mit Wehmut erfüllt. Ist Heimat ein melancholisches Gefühl?
Es hat schon mit Wehmut zu tun, weil Heimat immer mit Abschiednehmen aber auch mit Wiederkommen verbunden ist. Ich selbst hab ja einige
Heimaten, ich erlebe das dauernd. Ich komme aus Bad Aussee, hab dort das Elternhaus und wenn ich weggehe, bin ich traurig, weil ich nicht gern weg will. Andererseits komm ich auch gern nach Wien, obwohl ich nie zum Wiener geworden bin. Dafür bin ich zu wenig urban. Da kann Wien nichts dafür, das liegt an mir. Aber im Grätzel bin ich sehr zuhaus. Ich fühle mich auch im Weinviertel sehr wohl und komischerweise jetzt auch schon am Semmering. Ich hab ja dort ein Jahr intensiv recherchiert und hochinteressante und sehr liebenswerte Menschen kennengelernt, ein paar davon sind inzwischen Freunde von mir. Jetzt zähl ich ihn auch zu den Gegenden, mit denen ich ein vertrautes Verhältnis habe.
Hat Heimat mehr mit Menschen oder mehr mit Gegend zu tun?
Mit beidem. Wobei ich schon glaube, schlimmstenfalls funktionierts auch ohne Gegend und nur mit Menschen.
Das würde heißen, dass Heimatgefühl nicht an einen Ort gebunden ist?
Eine Bühne brauchts schon. Ich kann mir vorstellen, dass sogar ein Altersheim irgendwann zur Heimat werden kann. Wenn man das Biotop lieben lernt und die Leute kennenlernt (überlegt lange) - jetzt im positiven Fall, das Ganze kann natürlich auch ein Gefängnis sein oder etwas Furchtbares - aber im positiven Fall, den es ja auch gibt, kann auch so etwas Heimat sein, oder ein Hotel kann Heimat sein. Ich meine schon, dass es eher ein emotionell-geistiger Begriff ist als ein konkreter. Landschaft hilft natürlich schon. Weil sie gewisse Bilder mit Stimmungen verbindet und die Menschen zusammenhält.