Sechzig Jahre ist Josef Winkler heuer im März geworden. Damit beginnt er zwar langsam ins Pensionistenalter einzurücken, doch dankenswerterweise kennen Schriftsteller so etwas wie Ruhestand ja nur in Ausnahmefällen. Zumal bei einem Autor wie Winkler, auf dessen Schreiben solche Begriffe wie Obsession und Monomanie - im besten aller literarischen Sinne - zutreffen. Es wird immer weitergehen mit der Exorzierung der Kameringer Kindheit und der Registratur fremder Kulturen, die sich freilich, trotz aller Exotik, als verzerrtes Spiegelbild des dörflich-katholischen Kosmos erweisen.

Wie weit es Winkler gebracht hat, seine von provokanter Sprachwut und pervertierter Litanei geprägte Literatur voranzutreiben und zu verfeinern, das lässt sich hervorragend ablesen an den beiden Büchern, die heuer im Abstand weniger Monate erschienen sind.
Das Trauma Kamering
Zunächst erschien "Wortschatz der Nacht", die überarbeitete Fassung eines erstmals 1979 in der Zeitschrift "manuskripte" publizierten Textes, der ins Umfeld der "Kärntner Trilogie" gehört, mit der Winkler ab Ende der siebziger Jahre seinen furiosen Auftritt in der deutschsprachigen Literaturszene machte. Von Beginn an - Winkler spricht über den Kugelkopf der elektrischen Schreibma-schine, den er gleich einem schützenden Fetisch in seiner Jeans bei sich trägt - wird die Bedrängnis der dörflichen Herkunft spürbar: Der scheinbar widersinnige und zum Scheitern verurteilte Versuch, sich schreibend aufzulehnen gegen das bäuerliche Schicksal, das ihm vorbestimmt ist.
Der Furor, mit dem er sich zu befreien versucht von den Res-triktionen seiner Umwelt ist freilich der Ausweis des unbändigen Willens, sich von ihnen nicht brechen zu lassen. Dass von den Kameringer Hasstexten der Weg zum Büchner-Preis führte, ist einer der wenigen Fälle im Literaturbetrieb, wo man von höherer Gerechtigkeit sprechen kann. Wenn jemand unter den Preisträgern der letzten Jahre diese Auszeichnung verdient hat, dann Josef Winkler.
Wie in einem fieberhaften Delirium wälzt sich der Sprachfluss in "Wortschatz der Nacht" assoziativ fort, absatzlos über Seiten hinweg teils in bekenntnishaftem, teils in anklägerischem Gestus. Gott, Vater und Dorfgemeinschaft sind die Fixpunkte, an denen sich die Sprache abarbeitet durch Blasphemie, Vorwurf und Entblößung. Die Grenze zwischen Realismus und Stilisierung verschwimmt dabei zu einer literarischen Vision, die keinesgleichen in der deutschsprachigen Literatur besitzt.