Ein Mann geht die Straße entlang: mechanisch gesteuert, fatalistisch intoniert, der Barbarei schicksalhafter Bestimmung und sozialer Ausgrenzung ausgeliefert. Eine einsame Frau irrt von Herberge zu Herberge, von Laden zu Laden: nur weg von einem Zuhause, das nie ein glaubhaftes Daheim war, vielmehr ein Ort der Schuld. Ein Blinder schleppt seinen Körper stoisch durch den Staub.

Es sind solche Szenen am Rand der Zivilisation, die in Cormac McCarthys Werk im Mittelpunkt stehen. Die Unbilden von Sonne und Staub, Witterung und rauer Natur grundieren geradezu sinnfällig den Alltag der menschlichen Grausamkeiten, die den Handlungsfaden in den Romanen dieses sehr amerikanischen Autors bestimmen.

Gerbhäutige Reiter auf der Wolfsjagd und auf Menschenfang, verhärmte Frauen am Herd, alt oder alternd, geknebelt in archaischen Zwängen, und Liebesdienerinnen, die folgsam ihrer Pflicht genügen. So sieht McCarthys Kosmos der harschen sozialen Verwerfungen und Zuordnungen aus, einer Welt der Vergessenen und Außenseiter. Wenn man einer der Nebenfiguren in McCarthys Werk einen knorrigen Charakter zubilligen kann, dürfte dies der mildeste Schluss oder - besser - die versöhnlichste Ahnung sein, die sich über eine Gestalt aus McCarthys Personenkabinett mitteilen ließe.

Leben in der Wildnis

Die Protagonisten dagegen sind allesamt Ausgestoßene, Geschundene und Enttäuschte, Gewalttätige und Verbildete, kurz gesagt "Verlorene", wie es im Titel eines Bandes ausdrücklich heißt. Selbst die Kinder kommen hier vorzugsweise als deformierte Ungestalten und hingemetzelte Opfer vor oder, noch bezeichnender, in betrauerter Erinnerung. Sie tauchen nur als Zeugen gegen die Fiktion selbstbestimmten Lebens und unbeschwerter Kindheit auf. Am besten schneiden noch die jugendlichen Helden ab, die Kargheit ertragen lernen und das Leben in der Wildnis erproben. Freilich werden auch sie bald dem Handwerk der Vergeltung und des Blutvergießens erliegen, sei es als Opfer, als Täter - oder als beides.

McCarthy siedelt seine Schöpfungen mit Vorliebe im Süden der Vereinigten Staaten an, in der Nachbarschaft und jenseits der Grenze zu Mexiko - passenden Panoramen zu übermächtigen Herausforderungen und Leidenswegen. Gelegentlich erfüllt auch die spröde Zivilisationsferne der Appalachen oder ein apokalyptisches Universum irgendwo zwischen Ost und West, zwischen Gebirgskämmen und Küsten diesen Zweck. In jedem Fall handelt es sich um monumentale Landschaftsräume und abgelegene Lebenszonen, die der menschlichen Physis alles abverlangen und den Körper auslaugen.

Paradoxerweise sind es gerade die geografischen Weiten und Endlosigkeiten, in denen jede winzigste Regung, jedes Winseln und jeder Atemzug, zum Ereignis wird. Dosen öffnen, Auswickeln von Tuch und Decke, Anbraten und Suppen schlürfen fügen sich nahtlos neben Mondlicht, niederbrennende Sonne und verschneite Hängen, neben den Urlauten der Wildnis, Wolfshecheln und dahinhuschenden Antilopen.

So überzeugend McCarthys Gestaltungswucht und die hermetische Bühne des gewaltbereiten amerikanischen Südens einander entsprechen, so konträr dazu erscheint die Herkunft des Autors.

Vor achtzig Jahren in Rhode Island geboren, könnte der Sohn irisch-katholischer Provenienz leicht den klassischen Ostküsten-Intellektuellen abgeben. Allerdings verbrachte er - als Drittgeborener einer achtköpfigen Rechtsanwaltsfamilie - die eigentliche Kindheit in Tennessee, einem kulturellen Herzstück der Südstaaten. Offenbar bildet das vermeintlich rückständige "Hinterhaus" der amerikanischen Demokratie einen fruchtbaren Boden für schriftstellerische Phantasie, dem poetische Talente wie Tennessee Williams, Eudora Welty, Richard Ford und William Faulkner entwachsen sind. Vor allem mit diesem amerikanischen Klassiker-Riesen verglich die Literaturkritik McCarthys Romanwerk immer wieder.

Dass sich McCarthys Schreiben nicht auf die grobschlächtige Darstellung von Gewalt und Unheil, den Umgang mit Sattel und Lasso, Viehtrieb und Fallenstellerei reduzieren lässt, deutet sich bereits in einem frühen Stadium seiner Vita an. Zwar machen - zur abenteuerdurchtränkten und gewaltgeschwängerten Thematik seiner Bücher passend - praktisches Geschick und pragmatisches Handeln einen Zug in der Persönlichkeit des kommenden und heranreifenden Autors aus. Die Renovierung einer Scheune und der zeitweilige Eintritt in die U.S. Air Force, kombiniert mit einem Radio-Job, sprechen für sich. Doch absolviert er als junger Mann zunächst ein Kunststudium in der vertrauten Heimat, bevor er erste literarische Produkte verfasst.

Zu McCarthys fulminanten Stärken gehört auch die Eleganz der übergreifenden Komposition und epischen Durchdringung seiner Sujets. Schon in der Anfangsphase seines Schaffens zeigt er einen ausgeprägten Hang zu kühnen Romankonstruktionen - gewissermaßen ein "Bruckner unter Epikern".

Die Strukturierung durch knappe, die Stimmung bezwingend stilisierende Einschübe macht bereits den zweiten Roman, "Draußen im Dunkel", zum künstlerischen Ereignis. Die Geschichte um Inzest und Tod, Mordgesellen und erbarmungs-würdige Outlaws hatte er bei einer Südeuropareise auf Ibiza abgeschlossen. Von der Kritik wohlwollend bewertet, fand der Band indes in der Öffentlichkeit nur wenig Beachtung. Die Übersetzung ins Deutsche erfolgte bezeichnenderweise erst in Folge seiner späteren literarischen "Welthits", dreißig Jahre nach dem Erscheinen.