Im Buchmarkt geht es bekanntlich nicht um Geist oder Literatur, sondern um das Verkaufen von Büchern. Beststeller zu kopieren gehört daher zum Handwerk der Branche, und Journalisten können das noch besser als Schriftsteller. Wenn Frank Schirrmacher einen Besteller zur Überalterung der Gesellschaft schreibt, verfasst Claudius Seidl ein Buch darüber, dass wir alle jung bleiben; Florian Illies lanciert einen Bestseller über das Jahr 1913, also schiebt Volker Weidermann ein Buch über das Jahr 1936 nach.

Nachdem der Journalist Timur Vermes unlängst eine ganze Menge Exemplare seines humoresken Schundbuches "Er ist wieder da" unter die Leute brachte, war es nur naheliegend, dass nach dem Braunauer nun ein anderer berüchtigter Österreicher aus dem Totenreich zurückkehren musste, nämlich Thomas Bernhard. Der Berliner Journalist Alexander Schimmelbusch schrieb also einen Roman, der auf der Prämisse beruht, dass Thomas Bernhard seinen Tod nur gefaked hat und in Wahrheit seit 1989 unter dem Decknamen Murau gesund und munter in Spanien lebt. Während seiner Inkognito-Existenz, so die Fiktion, habe er mit einer feurigen Esmeralda einen in New York finanzjonglierenden Sohn namens Esteban gezeugt und am Meisterwerk "Ànima Negra" geschrieben.

"Die Murau Identität" nun schildert die lange Reise zu Bernhard, der am Ende in einer Bar, auf dem Smartphone tippend, den als Schimmelbusch paradierenden Ich-Erzähler empfängt. Der erzählerische Rahmen, der eine Zeitprognose und harmlose Sexgeschichtchen miteinander verbindet, ist weitgehend belanglos. Das clever kulturkritisch daherkommende Ende ist gleich ganz misslungen. Schade. Zumal angesichts des Potentials, das ein solches Bernhard-Buch bietet.

Anders als der Meister selbst, will Schimmelbusch es sich eigentlich mit niemandem verderben. Gut, dem legendären Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld schiebt er gewisse sexuelle Gelüste unter, die dieser vielleicht gehabt haben mag. Geschont wird auch die Clique der Bernhard-Philologen. Mit ihr hat Schimmelbusch offenkundig kein Hühnchen zu rupfen, dafür legt er Bernhard eine Suada gegen die Kleinbürger im Verlagswesen in den Mund, die offenkundig auf persönlichen Animositäten gründet. Auch die so beständigen wie überflüssigen Attacken auf Peter Handke wirken wie ein Privathändel von Schimmelbusch.

Wenigstens das so perfide wie absehbare Manöver, mit dem das offizielle Österreich den einstigen Nestbeschmutzer zum hehren Nationalheiligen verklärt hat, nimmt der Roman aufs Korn, allerdings eher halbherzig. Ausgespart bleibt auch die um den Thomas Bernhard-Kult sich rankende Bernhard-Industrie. Denn was ein aus dem Grabe zurückgekehrter Bernhard an vernichtenden Bemerkungen über die ganzen Bildbände, Kochbücher und den sonstigen Memorabilia-Mist parat hätte, das würde man tatsächlich gerne lesen.

Aber Schimmelbusch macht ja eifrig mit in der Bernhard-Industrie anstatt sich auf die Seite des Autors zu schlagen, um mit der ihm eigenen Melange aus Hass, Hinterfotzigkeit und Humor die Verlogenheit des Kulturbetriebs bloßzustellen. Gerade an der einzigen Stelle, wo es Schimmelbusch gelingt - nämlich als sich herausstellt, dass eine im Hause Unseld unter dem Warhol-Goethe aufgestellte chinesische Antiquität, die der Schriftsteller seinem Verleger verehrt hat, nicht im Dorotheum ersteigert wurde, sondern vielmehr ein China-Shop-Ramsch ist, den Bernhard in einem Bordell im Suff gestohlen hat - zeigt sich schmerzlich, welche Chancen Schimmelbusch vergeben hat. Wie schon gesagt: Schade darum.

Alexander Schimmelbusch: Die Murau Identität. Roman. Metrolit Verlag, Berlin 2014, 208 Seiten, 18,50 Euro.