Nichts weniger als großartig und atemberaubend ist Richard Hughes bei Dörlemann erschienener Roman "Orkan über Jamaika", der gleich nach seinem Erscheinen 1928 ein Bestseller in den USA und Großbritannien war. Im Zentrum dieser abenteuerlichen Geschichte stehen die Kinder der aus England stammenden Bas-Thorntons, die sich in Jamaika niedergelassen haben. Als eines Nachts auf dieser paradiesischen Insel ein fürchterlicher Tropensturm losbricht und das Anwesen der Familie dem Erdboden gleichmacht, beschließen die Eltern stoisch, ihr Anwesen wieder aufzubauen. Doch ihre - glücklicherweise unverletzt gebliebenen - Kinder wollen sie einer solchen Gefahr kein zweites Mal aussetzen.
Der Entschluss ist schnell gefasst: Die Kinder müssen in Sicherheit, sprich heim nach England, gebracht werden. Weder Vater noch Mutter können sie auf der Seereise begleiten. Also reisen John, Emily und ihre Geschwister unter der alleinigen Obhut des Kapitäns um die halbe Welt.
Doch Sicherheit gibt es nicht. Schon gar nicht auf Richard Hughes hoher See. Die Kinder erleben Abenteuer, die dem erwachsenen Leser die Haare zu Berge stehen lassen. Mindestens so eindrucksvoll ist jedoch, wie der Autor das Seelenleben der solchen unglaublichen Anforderungen ausgesetzten Kinder schildert. Hughes beschreibt keine unschuldigen Wesen. Vielmehr verfolgen Emily und ihre Geschwister ihre eigenen Interessen und handeln wie Erwachsene zu ihrem eigenen Vorteil. Allerdings mangelt es ihnen an der Fähigkeit, die Folgen ihrer Handlungen abschätzen zu können. Und den Erwachsenen, nicht zuletzt den Eltern, ist das Innenleben ihrer Kinder nicht nur ein großes Geheimnis, sondern vielmehr bloße Projektionsfläche ihrer eigenen Vorstellungen von Kindlichkeit.
Da ergeht es den Erwachsenen in diesem Roman nicht anders als all den Eltern und Erziehern in dem wohl kinderreichsten Roman-Universum überhaupt, nämlich jenem der Meisterin Ivy Compton-Burnett. Kinder, lernt man bei ihr wie bei Richard Hughes, sind besondere Menschen.
Richard Hughes: Orkan über Jamaika. Roman. Aus dem Englischen von Michael Walter. Dörlemann Verlag, Zürich 2013, 252 Seiten, 20,50 Euro.