Vielleicht beruht der Ruhm von Marguerite Duras auf einem Missverständnis. Sehr wahrscheinlich sogar. Reduzierte doch die Verfilmung ihres Romans "Der Liebhaber" die komplexe Geschichte der Entwicklung eines jungen Mädchens im Indochina um 1930, während der französischen Kolonialzeit, auf das rein Körperliche. Mit Jean-Jacques Annauds sehr eindeutiger Kinoadaption wurde dieses Buch zum erotischen Bekenntnis und in eins gesetzt mit der realen Biografie der am 4. April 1914 nahe Saigon geborenen, in Wort und Tat als hinlänglich freizügig bekannten französischen Schriftstellerin.

Überführte aber Marguerite Duras nicht ohnehin ihr gesamtes Leben in Literatur? Immer wieder tauchen Konstellationen auf, die ihrer Biografie entnommen sind und die von Buch zu Buch weitergesponnen wurden, etwa die Figur der autoritären, lieblosen Mutter, die der Wirklichkeit entsprach.

Marguerites Mutter Marie entstammte kleinsten Verhältnissen, war 1905 als Lehrerin aus Frankreich nach Saigon gegangen und hatte dort ihren zweiten Mann kennen gelernt, einen Schuldirektor. Aber 1921 verstarb dieser Henri Donnadieu. Die Mutter übersiedelte mit ihrer Tochter und den von Marie angebeteten zwei älteren Söhnen in die Heimat. Sie bewohnten zwei Jahre lang den Stammsitz der Familie im Département Lot-et-Garonne in der Nähe des Ortes Duras. Von diesem entlehnte Marguerite ihren Schriftstellernamen.

Dann kehrte die Mutter mit den Kindern zurück nach Asien, meinte, in Kambodscha durch Grundbesitz reich zu werden, hatte jedoch Land erworben, das regelmäßig überflutet wurde. So verlor sie auf einen Schlag nahezu alles. Mit unbändiger Härte baute sie sich ein neues Leben auf. Sie war unduldsam, streng, bitter. Als sie nach 1945 nach Frankreich zurückkehrte, war Marie Donnadieu reich.

Überlebenskunst

Das schwierige Mutter-Verhältnis prägte das Leben von Marguerite Duras, die in den dreißiger Jahren in Paris erst Jus studierte, dann politische Wissenschaft, anschließend im Kolonialministerium arbeitete, dort ihr erstes Buch schrieb, eine der offiziösen Linie verpflichtete Darstellung des französischen Kolonialimperiums.

Während der deutschen Besatzung ging sie einer Tätigkeit im Zensurwesen nach, war andererseits aktives Mitglied der Résistance und bald für ihren Wagemut ebenso bekannt wie für ihr extensives Liebesleben. Im Gegensatz zu ihrem damaligen Lebensgefährten und zu manchen Freunden konnte sie sich Verhaftung, Deportation und KZ entziehen.

Ende der dreißiger Jahre begann sie zu schreiben. Den ersten Roman bot sie dem bekanntesten Verlag in Paris, Gallimard, an, der ihn ablehnte. Doch Raymond Queneau, Gallimard-Lektor und selber Autor, förderte sie. Und im Frühjahr 1945 erschien in diesem Verlag Duras’ Debütroman "Ein ruhiges Leben". Die Auflage von 5500 Exemplaren verkaufte sich binnen weniger Monate. Was bei den Büchern, die im nächsten Jahrzehnt von Duras geschrieben wurden, nicht mehr gelten sollte. Diese unterboten ökonomisch die Verkaufserwartungen, ständig ließ sich die in Paris lebende Duras, inzwischen alleinerziehende Mutter, Vorschüsse einräumen, die ihre Bücher lange Zeit nicht abdeckten.

Künstlerisch hingegen stellten die Jahre 1950 bis 1968 ihre reichhaltigsten dar. Sie konstruierte und kartierte ihren literarischen Kosmos, von "Heiße Küste" (1950) über "Die Pferdchen von Tarquinia" (1953), "Moderato cantabile" (1958), "Die Verzückung der Lol V. Stein" (1964) bis zu "Der Vize-Konsul" (1965).

Rasch wurden diese Bände übersetzt. Weswegen Duras ein Haus in Neauphle 40 Kilometer südwestlich von Paris erwerben konnte, Jahrzehnte lang ihr Refugium, und später noch ein Appartement in Trouville in der Normandie, das bis zu ihrem Lebensende Zuflucht war, Inspirations- und Schreibort.

In vielen nahezu im Jahresrhythmus publizierten Büchern erarbeitete Duras sich einen eigenen, lange Zeit unverwechselbaren handlungsarmen Stil. Er bestand aus kunstvollen Wiederholungen und Pausen und zeichnete ein von Schmerzen, Lüsten und Begierden gepeinigtes Personal: Frauen, die emotional isoliert sind, die Ausbrüche wagen und verzweifeln, übermächtige Mütter und rabiate Männer. Immer standen in ihren Büchern wie dann in ihren Filmen Frauen im Mittelpunkt und deren intensives, manchmal anarchisch rasendes, manchmal tödlich scheiterndes Begehren.

Seit den vierziger Jahren engagierte sich die kleine, grazile Frau mit den im Lauf der Jahre immer asiatischer anmutenden Gesichtszügen für den Kommunismus, verteilte im Bezirk Saint-Germain-des-Près, wo sie wohnte, eigenhändig die Parteizeitung "L’Humanité". Doch bald nach 1950 distanzierten sie und ihre engsten Freunde, darunter nicht wenige ehemalige oder aktuelle Liebhaber, sich erst vom Stalinismus Moskauer Prägung, dann von den Parteibürokraten der Kommunistischen Partei Frankreichs, später vom orthodoxen Marxismus. Lebenslang fühlte sie sich jedoch dem Kommunismus verpflichtet, auch als sie durch viele Preise (darunter 1989 der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur) und Einnahmen durch Verfilmungen zu Reichtum gekommen war.