Die Französin Yasmina Reza, studierte Soziologin, Regisseurin, Schauspielerin und vor allem Autorin, ist nicht von ungefähr die derzeit meistgespielte Dramatikerin überhaupt. Welcher Theatergänger kennt nicht eines ihrer Stücke, angefangen mit ihrem ersten Welterfolg "Kunst" über "Drei Mal Leben" bis zu dem auch als Kinofilm sehr erfolgreichen "Der Gott des Gemetzels"?

Für ihre Stücke hat die Autorin ein Rezept, das sie variiert: Sie seziert das gehobene Bildungsbürgertum, das in Paris und anderswo das Gros des Theaterpublikums ausmacht. Allerdings tut Reza ihrem Publikum nicht weh; im Gegenteil, man amüsiert sich köstlich über verquere Eigenarten und Frustrationen, Missverständnisse und Reibereien zwischen Frauen und Männern, Eltern und Kindern, über Streitereien unter Freunden und Kollegen. Verdrängte Sehnsüchte, Kränkungen und Einsamkeit brechen hervor, es kommt zu Wutausbrüchen, Wortgefechten, selten zu Handgreiflichkeiten. Im Grunde kennt man das alles, aber niemand kann es so komisch-böse, doch im Grunde harmlos durchspielen wie Yasmina Reza. Nach einem solchen Theaterabend geht man beschwingt nach Hause, denn am Schluss scheint immer alles halb so schlimm.

Einige ihrer Stücke hat Reza zu Drehbüchern umgeschrieben, einige selbst verfilmt. Seit 1997 sind auch Prosastücke von ihr erschienen, darunter der Roman "Eine Verzweiflung" und nun "Glücklich die Glücklichen". Das Buch ist ebenfalls als Roman tituliert, wobei es eher eine Aneinanderreihung von Porträts, längeren Szenen und Momentaufnahmen ist, die gelegentlich und meist ohne große Konsequenzen ineinandergreifen. Obwohl viele der Figuren familiär, freundschaftlich, durch Affären oder den Job miteinander verbunden sind, gibt es keine durchgehende Romanhandlung und keinen Erzähler; in jedem der 21 Kapitel teilt eine der 18 Personen eine unerhörte Begebenheit aus ihrem Wohlstandsleben mit. In einer rätselhaften Geschichte trifft Hélène Barnèche im Bus einen ehemaligen Liebhaber - und folgt ihm sogleich blind. Tragikomisch ist die Geschichte über das Ehepaar Hutner und ihren Sohn, der sich einbildet, er sei Celine Dion. In einem anderen Kapitel fährt Odile Toscano mit ihrer Familie aufs Land, um die Asche ihres Vaters zu verstreuen. Und im fulminanten Anfangskapitel erzählt ihr Mann Robert von einem Streit mit Odile im Supermarkt. Der Auslöser: Robert hatte einen Morbier statt eines Schweizer Käses in den Einkaufswagen gelegt.

Es ist eine kleine, in sich abgeschlossene, trotz all der Intellektualität der Charaktere auch geistig beschränkte Welt, in der Rezas Figuren agieren, nicht nur in diesem Buch. Die Charaktere kreisen permanent um sich und bleiben stets in ihrem Milieu verhaftet. Überraschungen, lebensverändernde Wendungen, gar dauerhafte Ausbrüche kommen nicht vor, sind gar nicht vorstellbar.

Dieses Gefangensein könnte die Tragik der Charaktere verstärken und im Theater funktioniert das auch in gewissem Rahmen. Auf der Bühne können Schauspieler das mit Leben füllen, was auf dem Papier seltsam leblos bleibt. Als Leser berührt einen das Schicksal dieser Menschen, mit denen man doch einiges gemeinsam hat, kaum, auch wenn Reza noch so genau beobachtet und glänzend formuliert. Kaum beginnt man sich für eine Figur zu interessieren, verlässt man sie schon wieder. Alles bleibt an der Oberfläche und das Handeln der Personen führt ins Nichts. Das macht die Lektüre dieses Buches auf Dauer uninteressant. Leider.

Yasmina Reza: Glücklich die Glücklichen. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel, Frank Heibert. Carl Hanser Verlag, München; 176 Seiten; 18,40 Euro.