Wer Shakespeare liebt, kommt diesen Sommer in London auf seine Kosten. Von Ostern an füllt sich das West End mit Jubiläums-Angeboten aller Art. Bühnen und Kinos, Royal Albert Hall und Königliches Opernhaus wetteifern im "Theaterland" mit immer neuen Shakespeare-Produktionen. Auch eine Bühnenversion des Tom-Stoppard-Films "Shakespeare in Love" und die Welturaufführung einer Ballettfassung von "Ein Wintermärchen" gehören dazu.

Das Jubiläum, das an der Themse gefeiert werden soll, ist natürlich der 450. Geburtstag des Barden. Welcher Tag es ist, weiß zwar niemand ganz genau. Nur William Shakespeares Tauftag kennt man. Am 26. April 1564 ist der kleine "Gulielmus" in der Dreifaltigkeitskirche in Stratford am Avon als Täufling eingetragen worden. So geht man davon aus, dass er ein paar Tage vorher, vielleicht am 23. April, zur Welt gekommen ist.

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Kein Wunder also, dass in London jetzt viel von Shakespeare die Rede ist. Es gibt Vorträge, Workshops und Geburtstagsparties. Londons Globe Theatre trägt von Ostern an den "Hamlet" rund um die Erde. Es will ihn, bis zu Shakespeares 400. Todes-Gedenktag in zwei Jahren, in allen Staaten der Welt aufgeführt haben. Gastspiele in 204 Ländern sind fest vereinbart. Über den Auftritt in Nordkorea hat es bereits Krach mit Amnesty International gegeben. Von der geplanten Aufführung in der Antarktis hat man allerdings nichts mehr gehört. . .

Bei dieser aktuellen Aufregung um Shakespeare auf der Insel verwundert nur eines. Ausgerechnet in der Stadt, in der Shakespeare seine "wichtigen" Jahre verbrachte, in der er als Autor, Darsteller, Chronist, Geschäftsmann und Bühnen-Teilhaber eine sgewichtige Rolle spielte, hat sich in der Vergangenheit kaum jemand um die Spuren dieser Geschichte gesorgt.

Erbpflege in Stratford

Nur in Stratford, Shakespeares Geburts- und Sterbeort, hat man sich dem Dramatiker nahe fühlen können. In Warwickshire, wo die Schwäne gemächlich über den River Avon ziehen, ist das Shakespeare-Erbe stets pfleglich behandelt worden. Das über die Zeiten gerettete Elternhaus in Stratford hat sich nach und nach zu einem Konglomerat aus kostbarem Fachwerk-Überbleibsel und moderner Infothek entwickelt. Und über Shakespeares Grab in der Dreifaltigkeitskirche, keine zehn Gehminuten entfernt, wacht bis heute die farbenfrohe Büste des Poeten, die sieben Jahre nach seinem Tod angefertigt wurde und all die Jahrhunderte heil überstanden hat.

Während am Avon noch viel anderes zu sehen ist, hat man den großen Dichter an der Themse, lange sträflich vernachlässigt, klagt der Shakespeare-Enthusiast Declan McHugh: "Historische Plätze, die von Shakespeare zeugen, sind in London hartnäckig ignoriert worden."

Gedenktafeln fehlen oft oder sind, wo es sie gibt, nur zögernd installiert worden. Kein Wunder, dass Passanten und Touristen bis heute achtlos durchs Gewirr der kleinen Gassen von Blackfriars oder Bankside trotten, in denen Shakespeare und andere "Edelfedern" der Zeit einmal hausten, schrieben und produzierten, um die damals nagelneuen Spielstätten in der florierenden Themse-stadt mit ihren Geschichten zu füllen.

Declan McHugh, der selbst einmal Schauspieler war, hat darum aus der Not eine Tugend gemacht und sich eine eigenwillige kleine Shakespeare-Tour einfallen lassen. Seit fünfzehn Jahren führt er Besucher auf den verborgenen Spuren Shakespeares durch die Viertel zwischen Blackfriars, St.Paul’s und dem Barbican.

Mit detektivischer Akribie hat McHugh Wohn- und Spielplätze des Barden geortet. Mauerreste des Blackfriars-Klosters, königliche Kleiderkammern, hölzerne Gedenktafeln im Halbdunkel von Kirchen, Skulpturensäulen auf betongrauen City-Terrassen führt er vor - mit kleinen, eingestreuten Rezitationen als reizvoller Zugabe für die Zuhörer, die ihm, dicht auf den Fersen, durch Londons Straßen folgen.

Mitten im Gewusel der City, im Schatten immer neuer und höherer gläserner Bürotürme, sollen der Barde und seine Welt noch einmal zum Leben erweckt werden - so gut es eben geht. Denn anders als im Provinznest Stratford ist in London nicht viel aus Shakespeares Epoche erhalten geblieben. Vom großen Feuer von 1666 bis hin zu den Bomben der Luftwaffe und dem Bauwahn der Gegenwart hat ein erbarmungsloser Zahn der Zeit am historischen Erbe genagt.

Die Lücken zu füllen und William Shakespeare als historische Figur zu beschwören, ist keine einfache Aufgabe in London. Bezeichnenderweise hätte, wer noch vor zwanzig Jahren in der britischen Metropole nach Shakespeares Spuren gesucht hätte, so gut wie keine gefunden. Als Pilgerstätte unter freiem Himmel bot sich bloß das Shakespeare-Denkmal unter den Bäumen von Leicester Square an. Es wurde in der viktorianischen Ära, vor 140 Jahren, von einem reichen Gönner gestiftet. Das Denkmal stellt, wie eine zweite Statue in der Literaten-Ecke von Westminster Abbey, einen versonnen auf einen Packen Bücher gestützten Poeten dar. Es ist kürzlich renoviert worden und zieht noch immer vor allem Kinder, Obdachlose und Tauben an.