Beklemmend ist die erste Szene des Romans. Professor Adler, einer von denen, die sich noch retten konnten, bevor das Morden begann, kehrt zu Anfang der 50er Jahre in seine Heimatstadt Wien zurück. Er bekommt an seinem medizinischen Institut die alte Stelle zurück, nicht die des Chefs, die ihm einst schon versprochen war, sondern die des Stellvertreters, der er damals war, und die ihm nun von Rechts wegen zusteht.

Chef ist inzwischen ein Neuer, ein Jüngerer, von dem er nichts weiß. Alles ist ganz korrekt, aber allein bei der Vorstellung, was es mit diesem Dr. Krieger auf sich haben könnte, wieso er gar so überhöflich und distanziert mit dem Rückkehrer umgeht, wird einem unbehaglich. Adler trifft alte Freunde und Bekannte, doch über alle menschlichen Beziehungen legen sich die vergangenen Jahre wie ein feiner giftiger Sprühregen, der nichts unberührt lässt.

Wir sind in der Schlussphase des besetzten Österreich, die Staatsoper gastiert noch im Theater an der Wien, und an Bombenruinen ist ebensowenig Mangel wie an zerstörten oder aus der Bahn geworfenen Existenzen.

Aber natürlich sind da auch jene, die es sich gerichtet haben oder die schlimme Zeit einfach irgendwie überstanden. Einiges an altem Adel lernen wir kennen, meist verarmt, wie es sich gehört, aber dass die Tochter den Enkel des einstigen Försters im fürstlichen Gut heiraten könnte - nie und nimmer! In dieses Milieu schneit die junge Marie-Theres herein, deren Mutter aus eben diesem fürstlichen Hause stammt. Sie ist in Amerika aufgewachsen, und die Eltern haben die verträumte und sehr unerwachsene Neunzehnjährige zu den Verwandten geschickt, damit sie vielleicht ein wenig leben lernt.

Von einer verzweifelten, einer traurigen Liebe handelt der Roman, und das zweifach: nicht nur von der, die das Mädchen Marie-Theres ereilt, sondern fast mehr noch von jener, die die unfreiwillig Emigrierten plagt, gerade dann, wenn sie wieder zurückgekommen sind an den Ort ihrer Geburt, ihres Aufwachsens. Es ist immer noch ihre Heimat, aber wie könnte man so tun, als sei nichts geschehen?

Elisabeth de Waal, 1899 in Wien als Tochter von Viktor von Ephrussi und der Baronesse Emmy Schey von Koromla geboren und 1991 in England gestorben, kannte sich da aus; dem Weltruhm, den ihr Enkel, Edmund de Waal, vor kurzem mit seinem Buch "Der Hase mit den Bernsteinaugen" erlangte, verdanken wir die Veröffentlichung des Romans.

Als ein solcher ist "Donnerstags bei Kanakis" vielleicht nicht ganz und gar gelungen, denn selbst für die lang verflossenen Jahre vor dem Abschluss des Staatsvertrags erscheint uns eine solch unerhörte Unschuld wie jene der Marie-Theres nicht unbedingt glaubhaft. Bedeutend ist dieses Buch aber als Bericht über das "Herzzerbrechende der Rückkehr", wie Edmund de Waal es in seinem Vorwort formuliert, und über jene Jahre des grauen Wien, von denen so bald schon niemand mehr etwas wissen wollte.

Elisabeth de Waal: Donnerstags bei Kanakis. Roman. Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2014, 334 Seiten,20,50 Euro.